Essen. . Dass es bis heute kein Literaturhaus Ruhr gibt, ist ein Armutszeugnis für die Kulturhauptstadt, für die Feuerwerke und Events wichtiger waren. Dabei könnte ein Literaturhaus Ruhr die zersplitterten Szenen vernetzen und wäre mit Hilfe von Spenden und Stiftungen ins Werk zu setzen. Ein Plädoyer

Was ist geblieben von der Kulturhauptstadt Ruhr? Ein stetig wachsender Zustrom von Touristen. Die jüngsten Steigerungsraten lagen zwischen 6,6 und 8,4 Prozent. Ab und zu gibt es einen Day of Song und ein neues famoses „Urbanatix“-Programm, die Ruhrkunstmuseen wachsen widerstrebend zusammen. Als Fortführung des Kulturhauptstadt-Gedankens firmieren schließlich die „Urbanen Künste Ruhr“, ausgestattet mit 3,2 Millionen Euro pro Jahr für Kunst im öffentlichen Raum und von eher begrenzter Wirkmächtigkeit.

Industriekultur, Museen, Bühnen

Ansonsten aber sind die Etats der Kultureinrichtungen im Revier mehr denn je auf Kante genäht. Längst hat ein Wettlauf um freie Gelder eingesetzt, der zu Kannibalisierungs-Effekten führt. Das zeigte sich zuletzt, als Folkwang-Chef Tobia Bezzola jüngst die bewährte Lesereihe „Literatur im Folkwang“ vor die Tür setzte, weil er die vergleichsweise läppischen 20.000 Euro Lese-Etat künftig für Kunstankäufe nutzen wollte.

Dass der nicht übermäßig diplomatische Schweizer damit scheiterte und sein Haus nun unterm Strich nur eine Attraktion weniger hat, ändert nichts an der Symptomatik des Falls. Die aktuelle Obdachlosigkeit der Lesereihe offenbart: Der Literatur im Revier fehlt seit Jahr und Tag ein gemeinsames Dach. Dass es bis heute in der selbsternannten 5,3-Millionen-Metropole kein Literaturhaus Ruhr gibt, gehört zu den Armutszeugnissen der Kulturhauptstadt. Die verstand sich bei allem Vernetzungs-Tamtam zunächst als großangelegter Werbefeldzug, der feuerwerken und strahlen lassen sollte, was zwischen Duisburg und Dortmund ohnehin schon da war.

Da waren die Museen, die Industriekultur. Und die Bühnen, revierweit mit weit über 100 Millionen Euro im Jahr unterhalten. Die Ausgaben für die weniger feuerwerkstaugliche Literatur betragen nicht mal ein Hundertstel. Literatur hatte es im Revier stets etwas schwerer. Die Region musste zunächst einmal alphabetisiert werden, ihre Verlage sind klein – und die großen Autoren, die sie hervorbrachte, hielt es nicht lange hier. Der ureigene Beitrag des Reviers zur deutschen Literaturgeschichte, die Literatur der Arbeitswelt, ist längst ein historisches Phänomen, das ohne Nachfolge blieb.

Urbaner Ort mit vielen Vorbildern

Auch deshalb gibt eine echte Literaturszene, in der sich Autoren austauschen, streiten, anregen oder gar konkurrieren, heute nicht. Die existierenden Teil-Szenen – Zeitschriften, Lesereihen, Wettbewerbe – sind zu zersprengt, als dass sie spürbare Wirkungen auf Talente entfalten könnten.

Ein Literaturhaus würde helfen, diese Teil-Szenen zu vernetzen, die Literatur an der Ruhr hätte eine Adresse. Ein Literaturhaus könnte außer Lesungen auch Debatten, Poetry-Slams und Vorträge rund ums Buch bieten, Workshops, Kurse und Schreibprojekte für junge Menschen. Eine Buchhandlung würde so selbstverständlich dazugehören wie ein Café, ein Bistro oder Restaurant wäre noch besser, es geht schließlich um einen Ort der viel beschworenen Urbanität.

Ein Konzept für ein derartiges Literaturhaus gibt es längst, entworfen hat es Gerd Herholz, wissenschaftlicher Leiter des Literaturbüros Ruhr in Gladbeck. Doch es hapert an einer Finanzierung. Wie man die bewerkstelligt, ließe sich bei anderen Literaturhäusern lernen. Die meisten werden getragen von einem Verein mit 500 bis 1000 Mitgliedern oder von einer Stiftung. Viele Städte stellen ein Haus kostenfrei zur Verfügung; mit den Miet-Einnahmen aus Café und Buchladen wird oft ein Teil des Programms querfinanziert, so kommt die Stadt München mit einem jährlichen Zuschuss von 400.000 Euro an ihr Literaturhaus aus.

Wo es stehen sollte im Ruhrgebiet? Vielleicht eher nicht am Rand. Aber wo genau, das wäre fast egal, man könnte sich auch danach richten, welche Stadt eine geeignete Immobilie zur Verfügung stellen will. Es bräuchte allerdings genügend Menschen, die Literatur wirklich fördern wollen.