Essen/Hamburg. . „Das Wunder von Bern“ als Musical: Folkwang-Professor Gil Mehmert führt Regie – ein Gespräch vor der Premiere am Sonntag in Hamburg über Revier-Verbundenheit, einen neuen Schub für die deutsche Musical-Szene und die Wiederbelebung von Wir-Gefühlen“ und Teamgeist.
Am kommenden Sonntag wird die Erfolgsgeschichte der Weltmeister von 1954 um ein weiteres Kapitel fortgeschrieben: „Das Wunder von Bern“ erlebt in Hamburg seine Uraufführung als Musical. Martina Schürmann sprach mit Gil Mehmert, Musical-Professor an der Folkwang-Hochschule – er führt in Hamburg Regie.
Herr Mehmert, 2004 haben Sie Günter Netzer mit dem Tipp-Kick-Film „Aus der Tiefe des Raumes“ ein Denkmal gesetzt. Nun bringen Sie das „Wunder von Bern“ auf die Musical-Bühne. Sind Sie der Regisseur mit dem gewissen Ballgefühl?
Gil Mehmert: Wahrscheinlich haben sie in Hamburg überlegt: Welcher Regisseur kennt sich sehr gut mit Musical aus, hat Ahnung vom Fußball, kommt aus dem Ruhrgebiet und hat auch noch selber Söhne. Und wenn man alles übereinanderlegt, bleibt wahrscheinlich nur noch einer über.
Wenn das Nachkriegs-Ruhrgebiet in Hamburg aufgebaut wird, ist es ja ganz hilfreich, wenn der Regisseur gebürtig aus Werne kommt.
Mehmert: Spätestens durch die Kulturhauptstadt-Aktivitäten 2010 habe ich gespürt, dass meine Wurzeln nun mal das Ruhrgebiet sind. Und ich habe auch bei der Beschäftigung mit diesem Stoff gleich gemerkt, dass ich mich darin wirklich zu Hause fühle.
Das „Wunder von Bern“ ist auch ein Musical-Wunder; eine komplett deutsche Produktion, kein Aufguss vom Broadway oder Westend. Sogar mit eigenem Theaterbau. Was heißt das für die Branche?
Mehmert: Sie bekommt so hoffentlich neuen Schub. Wir haben so viele gut ausgebildete Musical-Darsteller in Deutschland, die schauspielerisch oft unterfordert sind. Ich erlebe das ganz häufig als Professor der Folkwang-Hochschule, wo wir ja genau an die Unterhaltungsform anknüpfen wollen, die in den 40ern zerstört wurde. Mit diesem Stück traut man sich wieder dahin: deutsche Inhalte zu erzählen, unsere Musical-Künstler zu zeigen und auf unsere Theatertraditionen zu bauen.
Haben sich die Musical-Zuschauer nicht längst an ein Höher-Schneller-Spektakulärer gewöhnt, an immer aufwendigere Schauwerte?
Mehmert: Genau das wollen wir ändern. Natürlich hat das Genre einen Negativ-Stempel, weil manche Leute nur an Katzen, Affen oder Rollschuhfahrer denken. Aber Musical ist eine Gesamtkunstform, in der Operndramaturgie, Schauspiel-Choreografie und in diesem Fall auch noch Artistik zusammenkommen. Es kann eine der vollkommensten Theaterformen sein, wenn man es mit einer emotionalen Geschichte verbindet.
2014 ist ja nicht nur Gedenk-, sondern auch WM-Jahr. Filme wie „Die Mannschaft“ bieten noch einmal den Triumph. Worum geht es dem „Wunder von Bern“?
Mehmert: Mir ist es wichtig, die Menschen zu erreichen. Wir wollen Seele zeigen und Mannschaftsgeist, wie das Team von 1954. Das ist wie ein Mikrokosmos der 50er-Jahre. Jedem wird klar, dass diese Geschichte mit der eigenen Vergangenheit zu tun hat, auch wenn sie 60 Jahre zurück liegt.
Wie viel Film ist noch im Musical?
Mehmert: Die Szenenfolge ist anders, aber die Personalkonstellation haben wir beibehalten. Es gibt die Familie Lubanski, das Ehepaar Ackermann und die Mannschaft von 1954, bei uns sind es allerdings nur 12 Spieler, nicht 22. Wir können und wollen auf der Bühne ja nicht wirklich Fußball spielen, wir lösen das anders.
Bei der Film-Premiere in Essen hat ein Bundeskanzler Gerhard Schröder geweint. Wen erwarten Sie am Sonntag zur Premiere?
Mehmert: Um die Gästeliste hab’ ich mich noch gar nicht gekümmert. Aber ich bin schon ein wenig zusammengezuckt, als man mir zugetragen hat, dass Günter Netzer kommt.