Essen. Wächst hier zusammen, was zusammen gehört? Schwarz-Grün könnte die Koalition der Zukunft werden, auch im Bund. Was nur wird dann aus der SPD?

Wer wissen will, wie unterdrückter Jubel aussieht, muss sich in diesen Tagen nur die Chefin der NRW-Grünen, Mona Neubaur, ansehen. Sie hat es nicht nur in der Hand, in einer künftigen Regierungskoalition Nordrhein-Westfalen mit seinen Ballungsräumen zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas zu machen. Sie würde mit Schwarz-Grün als Ergebnis der „kleinen Bundestagswahl“ von vor knapp zwei Wochen in NRW auch die strategischen Machtverhältnisse im Bund noch einmal deutlich zu Gunsten der Ökopartei verschieben, wenn es tatsächlich zu erfolgreichen Koalitionsverhandlungen kommt, wonach alles aussieht.

Nur: Zu viel Fröhlichkeit wäre fehl am Platz. Das würde die Ampelkoalition in Berlin mit SPD und FDP belasten und die ohnehin schon misslaunige Grüne Jugend, die „keinen Bock“ darauf hat, ausgerechnet mit der NRW-CDU ins Bett zu steigen, bis aufs Blut reizen. Darum lächelt Neubaur nur in die Kameras; sie lacht nicht, obwohl sie angesichts des Erdrutsch-Siegs allen Grund dazu hätte. Pragmatismus ist angesagt, viel Hirn und lieber nicht so viel Herz, auch wenn sie Hendrik Wüst und seine Truppe persönlich mag, wie sich bei den ersten Sondierungen nur schwer verbergen ließ.

Die Koalition darf kein überhöhtes Projekt werden

Denn das darf es nicht werden: ein „Projekt“, wie damals bei Rot-Grün unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer. An einer mit viel Pathos aufgeladenen Raus-aus-den-Krisen-Koalition mit Potenzial für die nächsten zehn Jahre und mehr haben weder Mona Neubaur noch NRW-CDU-Chef Hendrik Wüst ein Interesse. Das würde nicht nur den Bundeskanzler verärgern, sondern auch dessen Herausforderer, Oppositionsführer und CDU-Chef Friedrich Merz.

Eine Koalition in Düsseldorf als überhöhtes Gegen-Modell zur Ampel würde NRW-Ministerpräsident Wüst nämlich, der jetzt schon als heimlicher Kanzlerkandidat der Union gehandelt wird, zum direkten Gegenspieler von Scholz und (!) Merz machen. Das könnte in einer Union, die nichts mehr benötigt als Harmonie und Eintracht, schon wieder den Keim zu einer künftigen Niederlage legen, denn Streit mögen sie gar nicht in den Reihen der Konservativ-Bürgerlichen.

Ein sozialdemokratisches Jahrzehnt? Naja!

Die Sozialdemokraten derweil können einem schon ein wenig leidtun. Was hatten sie gejubelt, nach der Bundestagswahl. Stärkste Partei! Kanzlerpartei! Wer hätte das gedacht, dass die alte Tante SPD, die längst auf der Intensivstation lag, noch einmal so zu Kräften kommen könnte? Im Überschwang riefen einige schon ein sozialdemokratisches Jahrzehnt aus – und übersahen, dass ein Viertel der abgegebenen Stimmen eben nur das ist: ein Viertel. Dreiviertel der Wähler hatten die SPD nicht gewählt. Der relative Erfolg der SPD war allein begründet im Misserfolg der Armin-Laschet-CDU. Es ist nicht auszuschließen, dass Scholz als SPD-Kanzler nur ein Ausrutscher in der bundesdeutschen Geschichte sein wird, dass am Ende Andere den Ton angeben werden. Franz Beckenbauer würde jetzt sagen: Schau’n mer mal!

Hessen, Baden-Württemberg, jetzt vielleicht auch noch Schleswig-Holstein und NRW. Die Grünen – sie werden den Ton angeben, in diesen vier Bundesländern mit der CDU, wenn alles nach Plan läuft. In elf von 16 Bundesländern wären die Grünen dann bereits an der Macht. Und im Bund heben sich die grünen Minister Habeck und Baerbock wohltuend ab vom ansonsten eher mittelmäßigen bis under-performenden Kabinett. Die Grünen klettern in den Umfragen, mehr und mehr.

Macht first, Inhalte second

Schwarz-Grün, das sei womöglich „die Koalition der Zukunft“, wünschte sich das aus NRW stammende CDU-Vorstandsmitglied Serap Güler jetzt in der „Rheinischen Post“. Kein Wunder: Eine bessere Option, um mit an die Macht zu kommen, wird es für die Union auf absehbare Zeit nicht geben. Zugeständnisse werden sie machen, die Christdemokraten, machen müssen – mehr als die Grünen jedenfalls. Denn die können zur Not immer mit der Ampel drohen; dafür ist diese noch eine Zeit lang gut genug.

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Klare Kante, klare Meinung – das ist Klartext, die kommentierende Kolumne von Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ. Hier werden aktuelle politische Themen aufgegriffen und subjektiv-zugespitzt eingeordnet. Dabei handelt es sich um ein Meinungsangebot zum An- oder Ablehnen, An- oder Aufregen.Alle Folgen der Kolumne finden Sie hier.Klartext als Newsletter? Hier anmelden.

Kohleausstieg bis 2030? Für Wüst kein Problem. Natürlich wird es auch deutlich mehr Windkraftanlagen in NRW geben, was mit dem für die CDU bislang heiligen 1000-Meter-Abstandsgebot kaum zu vereinbaren ist. Wüst und seine CDU haben nur ein Ziel: in der Staatskanzlei zu bleiben. Sie sind auch in der Vergangenheit nicht dadurch aufgefallen, besondere eigene programmatische Akzente zu setzen, das waren in der abgewählten Koalition eher die Freidemokraten. Warum sollten Wüst und seine CDU jetzt damit anfangen und so ihre Macht gefährden?

Was Hessen kann, kann NRW erst recht

Die wechselseitigen Schmerzen bei Schwarz-Grün werden sich in Grenzen halten. Die Konstellation ist schon lange keine Sensation mehr. Als Hessen 2014 als erstes deutsches Flächenland mit Schwarz-Grün um die Ecke kam, war mein erster Gedanke, der ich eine Zeit lang in Hessen als politischer Redakteur gearbeitet hatte:

Die haben nicht mehr alle Tassen im Schrank!

CDU und Grüne hassten sich. Die passten kulturell nicht zusammen. Die Hessen-CDU gehörte immer zu den stramm rechten Landesverbänden der Union, während die Grünen eher als besonders links galten. Aber was soll ich sagen? Es funktioniert bis heute, mit zuletzt einer einzigen Stimme Mehrheit im Landtag. Konservativ zu sein bedeutet eben auch, Nachhaltigkeit zu schätzen. Umweltschutz und die Bewahrung der Schöpfung – das liegt nicht weit auseinander. Im Gegenteil.

Karl-Rudolf Korte liegt falsch

Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte, seit 2002 Professor in Duisburg, seit 2006 Direktor der NRW School of Governance und gefragter Parteien- und Wahl-Experte im ZDF, findet, die CDU sei trotz ihrer älteren Wählerschaft fähig, eine nachhaltige und „enkelfähige Politik“ zu machen. Ich frage mich: Wieso „trotz“? Es ist ein böses und falsches Klischee, älteren Menschen zu unterstellen, ihnen sei das Schicksal ihrer Kinder und Enkel egal. Eine CDU, die sich um Nachhaltigkeit nicht kümmern würde, würde bei den meisten Großeltern glatt durchfallen. Es ist daher auch überholt, Schwarz-Grün als „lagerübergreifende“ Koalition zu bezeichnen, wie es Korte tut. Die alten Kategorien von „rechts“ und „links“ funktionieren schon lange nicht mehr.

Was waren das für Zeiten, als sich 1995 erstmals Politiker von CDU und Grünen in der Bonner Pizzeria Sassella mehr oder weniger heimlich trafen (darunter übrigens ein gewisser Armin Laschet) und so die legendäre Pizza-Connection gründeten. Noch in den 80er Jahren hatten sich die Parteispitzen wechselseitig für politische Erzfeinde gehalten. Das ist lange her, zum Glück.

Schwarz-Grünes im Ristorante Sassella

Das Ristorante Sassella gibt es übrigens noch immer. Ich werde, wenn ich mal wieder in Bonn bin, dort einkehren und mir – nur zum Spaß – wünschen, dass der Koch einmal schwarze Tagliarini mit grünem Basilikumpesto kombiniert. Ich bin sicher, dieses Gericht, das es so auf der Karte (noch!) nicht gibt, wird aufgrund seiner unterschiedlichen, harmonisierenden Aromen hervorragend schmecken. Ich berichte nach.

Auf bald.