Essen/Recklinghausen. Der Mai ist der Monat, in dem auf den Bäumen in NRW wieder die haarigen Raupen des Eichen-Prozessionsspinners gesehen werden. Das Tier kann Hautausschlag und Atemnot auslösen. Trotzdem besteht kein Grund zur Panik - zumal viele vermeintliche Eichen-Prozessionsspinner überhaupt keine sind.

Auch wenn es ein schlimmer Zungenbrecher ist: Der Mai ist Eichen-Prozessionsspinner-Monat. Dann ist der Schmetterling in jenem Larvenstadium, in dem er Bäume einspinnt, Blätter abfrisst und auch für den Menschen lästig bis gefährlich wird: Die feinen Haare der Raupe können bei Menschen Hautausschlag auslösen - und dafür muss man die Tiere nicht einmal richtig berühren. Die Härchen mit den giftigen Krallen daran verbreiten sich auch in der Luft. Kein Wunder, dass im Mai viele Spaziergänger sorgenvoll in die Bäume blicken - und auch mal Fehlalarm auslösen.

  • Gevelsberg, 8. Mai: Aufgrund zahlreicher Anrufe besorgter Bürger teilt die Verwaltung mit, dass es sich bei den Baumschädlingen im Stadtgebiet nicht um die für den Menschen gefährlichen Eichenprozessionsspinner handelt. Dort ist vielmehr ein Massenvorkommen der Raupen der Gespinstmotte zu beobachten.
  • Herne, 30. April: Die Stadtverwaltung kann Anwohner beruhigen, die in Herne-Süd eingesponnene Bäume entdeckt haben: Mitarbeiter der Stadt seien bereits vor Ort gewesen. Alles im grünen Bereich - es handele sich nicht um die gefährlichen Eichenprozessionsspinner.
  • Hattingen, 30. April: Ein Spaziergänger beobachtet mehrere kleine Beutelchen, mit raupenähnlichen Insekten darin, die vom Baum an einer Art Spinnennetz herunterhingen. „Ich hatte natürlich Bedenken, dass die Tiere giftig sein könnten“, erzählt er. Doch die Stadt gibt Entwarnung.

Der Eichen-Prozessionsspinner hat unter den Tierarten Nordrhein-Westfalens eine bemerkenswerte Karriere hingelegt. Davon kann Matthias Kaiser erzählen, der beim Landesumweltamt (Lanuv) den Fachbereich Artenschutz leitet. "Der Eichen-Prozessionsspinner trat Anfang der 2000er-Jahre in den Kreisen Borken und Wesel das erste Mal auf. Dann hat er sich immer weiter nach Osten ausgebreitet, setzte sich in Recklinghausen fest, und letztes Jahr wurde er sogar schon aus dem Kreis Soest gemeldet."

Das Tier meidet konsequent alle Berge

Dabei bewegte er sich immer hart an der Ruhr, sie bildet in NRW die südliche Grenze des Eichen-Prozessionsspinner-Gebietes. Denn südlich der Ruhr geht es die Berge hoch, und darauf reagieren die Tiere äußerst empfindlich: Laut Kaiser brauchen sie die Ebenen, wo die Winter milder ausfallen. Man kann das also im Hinterkopf behalten für alle weiteren Eichen-Prozessionsspinner-Sichtungen in Hattingen und Gevelsberg: Überraschungen gibt es immer - aber eigentlich kann es gar nicht sein.

Hier hat die Gespinstmotte Überstunden gemacht: Ein Baum mit Bank in den Ruhrauen.
Hier hat die Gespinstmotte Überstunden gemacht: Ein Baum mit Bank in den Ruhrauen. © Manuela Schwerte

Oft verwechseln Spaziergänger den Eichen-Prozessionsspinner mit der Gespinstmotte. Die sieht zwar anders aus - aber sie pflegt Bäume und Sträucher so spektakulär einzuspinnen, dass die Leute stehen bleiben, gucken, und als erstes an den Eichen-Prozessionsspinner denken, von dem sie schon so viel gehört und gelesen haben.

Sitzt der Eichen-Prozessionsspinner auch mal in der Schlehe? 

Dabei gibt es außer der Geografie noch ein weiteres Ausschlusskriterium: Matthias Kaiser vom Landesumweltamt versichert, dass Eichen-Prozessionsspinner-Raupen tatsächlich nur Eichen besiedeln und keine anderen Bäume. Das klingt so selbstverständlich, ist es aber nicht. "Oft wird zum Beispiel ein Schlehenbaum gemeldet, in dem die Eichen-Prozessionsspinner sitzen sollen. Die Feuerwehr wird benachrichtigt, sie kommt und fackelt den Baum ab - weil sie es auch nicht besser weiß."

Beim Landesumweltamt hat man also Vorbehalte gegen allzu rüde Bekämpfungsmaßnahmen. Manchen Lesern dürfte noch jene Dorstener Grundschule in Erinnerung sein, wo im vergangenen Jahr 15 Schüler im Krankenhaus behandelt werden musste, weil ein Pestizid-Hubschrauber nicht nur die Eichen-Prozessionsspinner überflogen hatte, sondern auch die Kinder. Übrigens: Ob es am Pesitizid lag oder an den durch den Hubschrauber aufgewirbelten Raupenhaaren, ist bis heute nicht geklärt.

In den Haaren - ein Nesselgift

Wie gefährlich ist der Eichen-Prozessionsspinner? Beim Menschen kann er Hautausschlag und sogar Asthma-Anfälle auslösen, muss es aber nicht. Matthias Kaiser sagt, er könne eine Raupe über seine Hand kriechen lassen, ohne dass bei ihm etwas passiert. Andererseits gebe es Menschen, die heftig auf die Haare reagieren, die das Nesselgift Thaumetoporin enthalten. Der Eichen-Prozessionsspinner sei also mit anderen lästigen Tieren und Pflanzen vergleichbar, von denen wir uns aus Erfahrung fernhalten: Brennesseln, Mücken, Wespen.

Eine andere Frage ist die, wie gefährlich die Raupen für die Bäume sind, die sie besiedeln. Eichen-Prozessionsspinner vertilgen Blätter. Wenn sie viele sind, können sie einen Baum komplett kahlfressen. Auch ein ganzer Eichenwald kann betroffen sein, und das sind die Momente, in denen die Hubschrauber mit Pestiziden aufsteigen.

Haben befallene Bäume noch eine Chance? 

Allerdings weist Kaiser darauf hin, dass ein einmaliger Befall eine Eiche nicht umbringe. Und sie könne sogar im selben Jahr noch einmal austreiben: Bei Eichen gibt es den Johannistrieb im Juni - und so kann ein Baum, der im Mai leergefressen wurde, im Sommer schon wieder Schatten spenden. Eichenbesitzer müssen also nicht gleich verzweifeln, wenn sie Eichen-Prozessionsspinner entdecken.

Gleichwohl sollte man die Raupen dort, wo sie nah am Menschen siedeln, unschädlich machen - empfiehlt das Landesumweltamt. Eine Population am Kindergarten, an der Schule oder am Altenheim sollte man bekämpfen, findet Matthias Kaiser. Das geschieht dann mit einem Spritzmittel, das vom Boden aus in die befallenen Bäume gespritzt wird.

Ein Weibchen - 300 Larven

Von Versuchen, den Eichen-Prozessionsspinner auszurotten, hält man beim Lanuv erwartungsgemäß wenig. Matthias Kaiser glaubt auch, dass es nicht funktionieren kann. "Wenn Sie ein Weibchen nicht erwischen, haben Sie 300 neue Larven", sagt er. Das sind natürlich Aussichten.

Eichen-Prozessionsspinner sind aber nicht nur fruchtbar, sondern auch flugstark. Hinter dem Kreis Soest kommt Paderborn. Wir werden sehen, wie weit der Eichen-Prozessionsspinner in diesem Jahr vorangekommen ist auf seinem Weg nach Osten.