Greifswald/Berlin. Ein Test auf die schwere Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose gehört nicht zum standardmäßigen Neugeborenen-Screening. Nur Mecklenburg-Vorpommern ist das einzige Bundesland mit einer flächendeckenden Untersuchung. Dabei kann eine frühe Diagnose das Leben der kleinen Patienten verlängern.
Mati ist ein Baby mit neugierigem Blick. Der zwölf Wochen alte Junge sieht gesund aus und wiegt 5240 Gramm. Noch vor acht Wochen war das anders. Mati nahm ab, wog deutlich weniger als am Tag seiner Geburt. Zudem plagte ihn eine Lungenentzündung. "Er entwickelte sich ganz anders als sein großer Bruder", erinnert sich Carolin Krüger, Mattis Mutter. "Eine schreckliche Zeit."
Dank des Neugeborenen-Screenings auf die Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose am Greifswalder Uni-Klinikum wussten die Ärzte sehr schnell, woran der Kleine genau leidet und konnten zügig mit der richtigen Behandlung beginnen. "Je früher die Diagnose erfolgt und die Therapie einsetzt, desto besser ist die Lebensprognose", sagte Facharzt Sebastian Schmidt, der die Mukoviszidose-Sprechstunde leitet. Die Untersuchung auf Mukoviszidose gehört nicht zum standardmäßigen Neugeborenen-Screening in Deutschland.
Mukoviszidose ist eine vererbte, angeborene Stoffwechselkrankheit, die zweithäufigste in Deutschland. Und sie ist bislang unheilbar. Die Atemwege in der Lunge, die Ausführungsgänge an der Bauspeicheldrüse und die Gallenwege werden mit zähem Schleim verstopft. Die Lebenserwartung liegt derzeit bei 35 bis 40 Jahren, bei milden Verläufen können die Patienten älter werden.
Rund 200 erkrankte Neugeborene pro Jahr
Nach Angaben der Interessensvertretung der Betroffenen, der Mukoviszidose e.V., wird eines von 3500 bis 4000 Babys in Deutschland mit der Krankheit geboren - schätzungsweise rund 200 pro Jahr. Nur bei weniger als 50 Prozent der Kinder wird die Diagnose, so der aktuellste Berichtsband Qualitätssicherung Mukoviszidose, im ersten Lebensjahr gestellt.
15 Prozent der Babys werden bislang gescreent, weil Unikliniken wie Dresden, Gießen, Heidelberg oder Greifswald klinische Studien betreiben oder freiwillige Früherkennungsprogramme anbieten. Standard - wie in anderen EU-Ländern - ist die Untersuchung in Deutschland nicht. Mecklenburg-Vorpommern ist das einzige Bundesland mit einem flächendeckenden Screening. Grundlage ist ein EU-Projekt mit Polen - es läuft im Herbst 2014 aus. Die weitere Finanzierung ist unsicher, sagt die Projektleiterin Cornelia Müller
Mukoviszidose e.V. drängt auf die bundesweite Einführung der Untersuchung. "Eine frühe Diagnose und daraus folgend Krankheitsverlauf sowie Lebenserwartung dürfen nicht davon abhängen, wo man geboren wird", sagt Jutta Bend vom Mukovsizidose e.V. in Bonn.
Eine bundesweite Einführung scheitert bislang an der fehlenden Zustimmung des Gemeinsamen Bundesausschusses, wo unter Ausschluss der Öffentlichkeit Ärzte, Krankenkassen und Krankenhäuser seit 2008 beraten, ob Mukoviszidose in das bundesweite Neugeborenen-Screening aufgenommen wird. Im Jahr 2010 trat das Gendiagnostikgesetz in Kraft. "Mukoviszidose ist die erste Krankheit des Neugeborenen-Screenings, die unter den strengen Vorgaben dieses Gesetzes geprüft wird", sagt der Gießener Facharzt Lutz Nährlich. Die Gendiagnostik-Kommission muss ihre Zustimmung geben.
Befundmitteilung innerhalb von drei Tagen
Als problematisch gilt die hohe Zahl an Fehlalarmen nach den ersten biochemischen Tests. Das Verhältnis von falsch-positiven Ergebnissen liegt bei 7:1. "Klarheit bringt ein abschließender Schweiß-Test, bei dem der Salzgehalt im Schweiß bestimmt wird", sagt der Greifswalder Arzt Schmidt. Weil die psychische Belastung der Eltern zu dem Zeitpunkt sehr groß sei, sei es Standard, die Zeit zwischen Befundmitteilung nach dem Ersttest und Schweiß-Test auf maximal drei Tage zu beschränken. Diskutiert wird, die Zahl der zum Schweiß-Test Eingeladenen zu verringern, indem man an die biochemischen noch einen DNA-Test anschließt.
Ärzte und Mukoviszidose e.V. halten die Fragen für lösbar. "Aus unserer Sicht kann man den Anforderungen des Gendiagnostikgesetzes durch eine entsprechende Ausgestaltung des Screening-Programmes genügen", sagt Bend. Die Geschäftsstelle des Ausschusses hält eine abschließende Entscheidung in diesem Sommer oder Herbst für möglich.
Mati bekommt seit der Diagnose vor acht Wochen Verdauungsenzyme, um die Nahrungsaufnahme zu verbessern. Zweimal am Tag muss er inhalieren, damit die Lungenfunktion gekräftigt wird. Der Husten, der Matti in den Wochen nach seiner Geburt quälte, ist abgeklungen. Carolin Krüger, die Mutter von Mati, schaut mit zwiespältigen Gefühlen in die Zukunft. Ihr sehnlichster Wunsch: die Entwicklung von Medikamenten, die nicht nur die Symptome bekämpfen, sondern die Krankheit heilen. (dpa)