Hannover/Sauerland. Dem zwölfjährigen Marius aus dem Sauerland wurden als erstem Menschen in Deutschland erfolgreich Lungenteile seiner Eltern implantiert. Für Lars und Anja Schmidt stand immer fest: „Wir wollen das. Es gab nicht den leisesten Zweifel. Wir sind stolz und froh, unserem Kind helfen zu können.“ Seine Chance, lange mit diesem Organ zu leben, ist groß.
In Deutschland ist zum ersten Mal erfolgreich eine Lunge von lebenden Spendern transplantiert worden. Ein heute zwölfjähriger Junge aus dem Hochsauerlandkreis erhielt von seinem Vater und seiner Mutter jeweils einen Lungenlappen. Knapp fünf Monate nach der bislang einmaligen Operation in Hannover geht es dem Jungen und seinen Eltern so gut wie nie zuvor. Seine Chance, lange mit diesem Organ zu leben, ist groß.
Freitag, der 13. Diesen Tag im April wird Anja Schmidt (42)* niemals vergessen. Mit einem Rettungshubschrauber hatten Ärzte ihren Sohn Marius (12) in eine Hannoveraner Spezialklinik fliegen lassen. Der Zustand des schwer an der Lunge erkrankten Jungen hatte sich kritisch zugespitzt. Ein Spenderorgan für den kleinen Patienten aus dem Sauerland war trotz intensiver Suche nicht gefunden worden. „In diesem Moment sind die Ärzte auf unseren Vorschlag eingegangen“, erinnert sich Anja Schmidt. Es begann eine dramatische Rettungsaktion.
Gemeinsam mit ihrem Mann Lars (43) hatte die Mutter von Marius angeboten, einen Teil ihrer Lunge zu spenden, um so ihrem Sohn das Überleben zu ermöglichen. Eine Operation, die es so in Deutschland noch nie zuvor gegeben hatte.
An Mukoviszidose erkrankt
Rückblende. Im Säuglingsalter war bei Marius „Mukoviszidose“ diagnostiziert worden. Je älter er wurde, umso mehr schränkte die unheilbare Stoffwechselkrankheit Marius Leben ein. Morgens musste er eineinhalb Stunden inhalieren, schmerzhaft den durch die Krankheit zähflüssigen Schleim abhusten, Tabletten nehmen, abends wieder eineinhalb Stunden am Inhalator sitzen. „Wir haben mit dieser Krankheit gelebt – Tag und Nacht“, sagt Lars Schmidt*.
Bis Anfang dieses Jahres. Da verschlimmerte sich die Situation des Jungen rapide. Er brauchte ein Sauerstoffgerät, das ihm bei der Atmung half. Immer öfter musste Marius im Krankenhaus stationär behandelt werden. In den letzten Wochen kam er an eine Herz-Lungen-Maschine. Eine Organtransplantation wurde immer dringender. Doch: Die Warteliste ist lang – und von Woche zu Woche, von Tag zu Tag ging es dem Jungen schlechter. Der erlösende Anruf von der Transplantationsklinik kam nicht. „Im vorigen Jahr hatten wir von der Möglichkeit einer Lebend-Spende gehört“, berichtet Marius Mutter. Sie boten diesen Schritt der Klinik in Hannover an – doch die Ärzte zögerten zunächst.
Lebend-Spende als allerletzter Schritt
„Eine Lebend-Spende ist der allerletzte Schritt“, betont Prof. Dr. Axel Haverich, Direktor der Herz-Lungen-Klinik in Hannover. Zusammen mit Ärzten und einer Ethik-Kommission besprachen Lars und Anja Schmidt die Risiken. Risiken, zum einen, wie sie jede Operation mit sich bringt, Wundschmerzen beispielsweise, möglicherweise Infektionen. Hier aber gab es die Besonderheit, dass Mutter und Vater nicht nur von Marius, sondern auch von dessen Schwester Nele zeitgleich operiert werden mussten. Und es gibt das Risiko von Spätfolgen. Doch für Lars und Anja Schmidt stand fest: „Wir wollen das. Es gab nicht den leisesten Zweifel. Wir sind stolz und froh, unserem Kind helfen zu können.“
13 Tage nach der Notverlegung nach Hannover wurde eine der aufwendigsten Operationen der Herz-Lungen-Klinik gestartet. „Wir haben für diesen Tag alles andere zurückgestellt“, berichtet Dr. Gregor Warnecke, Leiter des Transplantationsbereiches. In drei Operationssälen wurde parallel gearbeitet, drei Stunden lang entfernten die insgesamt 15 Chirurgen Mutter und Vater jeweils einen Lungenlappen. Behoben bei der Mutter gleich noch einen Herzfehler. Und nahmen Marius kranke Lunge heraus, vernähten die Lungenlappen seiner Eltern in seinem geöffneten Brustkorb.
„Als ich nach der OP wach wurde, waren das erstmal schlimme Stunden“, erinnert sich die Mutter. War die Operation ihres Sohnes gelungen? Berichteten die Ärzte ihr wirklich die Wahrheit? Erst am nächsten Tag konnte sie, selbst noch von dem Eingriff geschwächt, ihren Sohn auf der Intensivstation besuchen. Und sich überzeugen lassen: „Es ist alles gut gelaufen.“
Marius ist ein Kämpfer
Knapp fünf Monate später bestätigt Marius diesen Eindruck. „Er ist ein Kämpfer“, macht Prof. Haverich seinem kleinen Patienten Komplimente, denn der hat enorme Fortschritte erzielt. Auf dem Spielplatz der Hannoveraner Kinderklinik kickt Marius, ein glühender Schalke-Fan, mit den Ärzten, während Mutter Anja mit einem Lächeln auf dem Gesicht zuschaut. „Er ist früher nie gern Rad gefahren. Jetzt liebt er es“, berichtet sie, die genau wie ihr Mann keine Einschränkung durch die reduzierte Lunge spürt.
Die aufwendigen Therapien ihres Sohnes gehören der Vergangenheit an. Zwar kann Marius wegen der Infektionsgefahr noch nicht zur Schule gehen, wird zu Hause von drei seiner Lehrer unterrichtet. Zwar muss er noch täglich 30 Tabletten zu sich nehmen, gegen die Mukoviszidose und die Abstoßungsreaktionen. Und doch ist fast so etwas wie Normalität in das Leben der Schmidts eingezogen. Aber sie wissen auch: Marius hat Glück gehabt. Eine Lebendspende kann nur in seltenen Ausnahmefällen helfen. Den Medienrummel um ihren Sohn gestern in der Hannoveraner Klinik haben die Eltern nur über sich ergehen lassen, um an die Organ-Spendenbereitschaft zu appellieren. Am Ende der Pressekonferenz verteilt Lars Schmidt Organspenderausweise. „Auch Sie“, sagt er einer Reporterin, „können Leben retten“.
*Name geändert
Lebend-Spende ist nur für Kinder möglich
Eine Lungentransplantation unter lebenden Verwandten kann nur in seltenen Fällen funktionieren – kann aber Vorteile haben, denn die genetische Ähnlichkeit des gespendeten Organs ist groß. Und entsprechend geringer ist das Risiko, dass der Körper das Organ abstößt.
Um beide erkrankten Lungenflügel zu ersetzen, sind zwei Spender nötig. Sie müssen beide die gleiche Blutgruppe haben wie der Empfänger. Damit die Spender ohne größere Einschränkungen weiterleben können, darf ihnen nur einer von fünf Lungenlappen entfernt werden. Deshalb muss der Empfänger deutlich kleiner sein als die Spender. Eine Lebendspende für Erwachsene ist daher ausgeschlossen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Lungenlappen bei dem Kind mitwachsen, ist groß. Die Überlebens-Chance ist ebenfalls sehr hoch – wenngleich in einigen Jahren mit einer erneuten Transplantation gerechnet werden muss. In Hannover gibt es einzelne Patienten, die seit 20 Jahren mit einer transplantierten Lunge leben.