Ulm. Eine Krebstherapie zerrt nicht nur am Körper, sondern auch an der Psyche. An Sport denken da die wenigsten Patienten. Doch gerade sportliche Betätigung kann helfen, die Therapie besser zu überwinden. Auch das Rückfallrisiko bei bestimmten Krebsarten kann durch Sport verringert werden.
Renate Mücke wird nachdenklich, wenn sie sich an das vergangene Jahr erinnert. "Mir hat es den Boden unter den Füßen weggezogen", sagt die 58-Jährige. Damals teilten ihr Ärzte die Diagnose Brustkrebs mit. "Es ist, als falle man in ein tiefes schwarzes Loch", sagt Mücke. Von einem Tag auf den anderen ändert sich bei der ehemaligen Leistungssportlerin alles. An der Uniklinik in Ulm wird sie operiert und unterzieht sich einer Chemotherapie.
Die Medikamente zeigen Nebenwirkungen. Mücke fühlt sich schlapp, immer wieder wird ihr übel und Haare hat sie längst nicht mehr auf dem Kopf. Trotzdem lässt sie sich von Freundinnen überreden, auf der Donau Rudern zu gehen. Für die ehemalige Deutsche Meisterin im Frauen-Vierer überhaupt keine Selbstverständlichkeit. Zu stark sind die Nebenwirkungen. Doch ihr Wille ist stärker. Schon zwei Wochen nach Beginn der Chemo gleitet sie mit Freundinnen über den Fluss.
Sportliche Betätigung stabilisiert die Psyche
Fast ein Jahr später steht sie wieder an der Stelle, an der sie sich während ihrer schweren Erkrankung in ein Ruderboot gesetzt hat. Inzwischen hat sie den Krebs besiegt, die Haare sprießen wieder. Sie bringt nun 15 Krebspatienten das Rudern bei. Ziel: Ende Juni an einer Benefiz-Regatta auf der Donau in Ulm teilzunehmen. Denn Sport, davon sind die Initiatoren der Aktion von der Uniklinik überzeugt, kann die Heilungschancen bei bestimmten Krebsarten verbessern.
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"Patienten können unabhängig von ihrer finanziellen Situation an dem kostenlosen Sportprogramm teilnehmen und ihre Krebstherapie selbst aktiv mitgestalten", erklärt Jürgen Steinacker, Leiter der Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin an der Uniklinik. Steinacker weiß, dass eine regelmäßige sportliche Betätigung zu einer körperlichen und psychischen Stabilisierung von Krebspatienten beiträgt.
Renate Mücke kann das bestätigen: "Als ich während der Chemotherapie im Boot saß, spürte ich die Übelkeit überhaupt nicht mehr." Außerdem werde der Kreislauf angeregt. "Man kommt für ein paar Stunden aus der Krankheit heraus", sagt Mücke. Allerdings schränkt die frühere Profi-Sportlerin ein: "Hätte ich vorher nicht viel Sport getrieben, wäre das in dieser Form wohl nicht möglich gewesen.
Regelmäßiger Sport kann Rückfallrisiko senken
Martin Halle, der in München das Zentrum für Prävention und Sportmedizin leitet, sagt: "Patienten, die während einer Chemotherapie Sport treiben, tolerieren die Therapie besser." Vor allem Nebenwirkungen wie chronische Müdigkeit könnten besser bewältigt oder überwunden werden.
Regelmäßiger Sport nach einer Krebsbehandlung kann laut Halle sogar das Rückfallrisiko bei Brust-, Darm- und Prostatakrebs senken. Denn alle drei Krebsarten sind vom Stoffwechsel abhängig. "Bei Brustkrebs gibt es nach zehn Jahren bis zu 30 Prozent weniger Rückfälle", sagt Halle. Bei Darmkrebs sei die Quote sogar noch höher. Für andere Krebsarten wie Leukämie sind Prognosen zum Rückfallrisiko noch nicht erwiesen. "Trotzdem bessert sich die Lebensqualität herausragend."
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Wie sehr der Sport bei der Bewältigung einer schweren Krankheit helfen kann, weiß auch Renate Schmid. Die Ulmer Unternehmerin wurde vor vier Jahren von der Diagnose Brustkrebs überrascht. Ein Schicksalsschlag für die 54-Jährige. Die Chemo- und Strahlentherapie habe sie durchgeschüttelt. "Ich hatte so wenig Kraft, dass ich nicht mal laufen konnte", sagt Schmid. "Ich habe aber gelernt, dass Sport mir wieder Kraft gibt." Sie fängt an, regelmäßig in der Sport- und Rehabilitationsmedizin der Ulmer Uniklinik zu trainieren, kauft sich ein Rennrad und beginnt zu joggen. Seit einigen Wochen trainiert sie im Trockenen das Rudern. Auch Schmid will an der Regatta teilnehmen.
Erlös kommt Projekt "Sport und Krebs" zugute
Die Benefiz-Regatten sind in diesem Jahr in ganz Deutschland geplant, auch in Hamburg, Berlin und Dresden. Die Aktionen sind eine Initiative der "Stiftung Leben mit Krebs". In Kooperation mit lokalen Rudervereinen und Krebstherapiezentren werden die Bootsrennen auf die Beine gestellt und dienen dem guten Zweck. So wird mit dem Erlös der Regatta im Juni mit Hilfe des Ulmer Ruderclubs Donau das Projekt "Sport und Krebs" an der Uniklinik gefördert.
Und es soll eine Botschaft transportiert werden: "Sport gibt Kraft - auch nach einer schweren Erkrankung." Da sind sich Renate Mücke und Renate Schmid sicher. Sie haben den Brustkrebs besiegt. (dpa)