Essen. . Die Lage für Hebammen spitzt sich weiter zu. Nur drei von 151 Versicherern in Deutschland bieten noch die für Hebammen zwingende Berufshaftpflichtversicherung an. Bald sind es sogar nur noch zwei Versicherer. Experten üben auch Gesellschaftskritik - an der gewachsenen “Absicherungsmentalität“.

Schwangere sind bei Hebammen in den besten Händen - besser, als bei Ärzten. Das hat im vergangenen Jahr eine britische Studie herausgefunden. Erfasst wurden mehr als 16.000 Frauen in vier Ländern, bei denen verglichen wurde ob sie ausschließlich von einer Hebamme durch die Schwangerschaft begleitet wurden oder auch von einem Arzt. Das Fazit der Studie: Die alleine von Hebammen begleiteten Frauen kamen mit zum Teil auffallend weniger Komplikationen durch die Schwangerschaft.

Ein schönes Ergebnis. Doch hierzulande spricht derzeit einiges dafür, dass die Betreuung von Geburten über Kurz oder Lang Domäne von Ärzten wird. Wo Hebammen seit mehreren Jahren über drastisch steigende Versicherungsprämien klagen, spitzt sich die Lage jetzt zu: Es gibt kaum noch Versicherer, die die für Hebammen in der Geburtshilfe vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung anbieten.

Nur noch zwei Versicherer für Hebammen

Aktuell sind es noch drei Versicherer - von 151 Unternehmen in Deutschland. "Das ist ein Notstand", sagt Bernd Hendges, der den Deutschen Hebammenverband als Versicherungsmakler betreut. So zieht sich die Nürnberger Versicherung spätestens bis Juli 2015 aus dem Geschäft zurück - und das bei Jahresprämien, die mittlerweile bei 5000 Euro liegen und auch 2015 erneut um 20 Prozent steigen sollen.

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Es geht um ein nicht lösbares Versicherungsproblem. Selbst die Deutsche Versicherungswirtschaft gibt zu, dass es "nicht mehr Geburtsschäden gibt als früher". Statt dessen aber seien die Kosten bei schweren Geburtsschäden explodiert, um 80 Prozent von 2003 bis 2012, jedes Jahr steigen sie um weitere sieben Prozent. Ein Geburtsfehler schlage heute durchschnittlich mit 2,6 Millionen Euro zu Buche, heißt es. Dem stehen insgesamt etwa 15 Millionen Euro Einnahmen an Versicherungsprämien im Jahr durch Hebammen gegenüber.

Die Folge ist ein bizarrer Kreislauf.

Auch Krankenhäuser leiden unter Exodus der Haftpflichtversicherer 

Die Situation ist "verrückt", sagt Versicherungsmakler Bernd Hendges. Denn die Krankenkassen, bei denen Hebammen ihre Arbeit in Rechnung stellen, würden den Kreislauf noch ankurbeln: Hebammen fordern von den Kassen mehr Geld, vor allem weil die Haftpflichtprämien steigen. Und die Kassen sorgen mit dafür, dass diese Prämien teurer werden, "weil sie ihr Regress-Wesen ausgebaut haben" und zunehmend Gesundheitsausgaben etwa in der Folge von Geburtsfehlern den Versicherern in Rechnung stellen.

Das ist nicht nur ein Problem der Hebammen. Auch bei Krankenhäusern lichtet sich das Angebot der Versicherer deutlich. Die Zurich Versicherung, einer der Branchenriesen, "hat sich ganz aus dem Segment verabschiedet", sagt Bernd Hendges. Auch die Provinzial ist mittlerweile ausgestiegen. Aktuell gebe es nur noch eine Handvoll Anbieter. Besonders betroffen neben der Geburtshilfe sind vor allem Bereiche im Heilwesen "in denen operiert wird". Im Vergleich zu Hebammen allerdings "können Krankenhäuser die geforderten Prämien noch tragen", meint Hendges.

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Leben bedeutet Risiko

Für die Kölner Pflegewissenschaftlerin Sabine Dörpinghaus ist eine Geburt laut einem Medienbericht ohnehin "nicht versicherbar". Sie sieht Hebammen als Opfer einer gestiegenen Anspruchshaltung in der Gesellschaft und fordert in einem jüngst veröffentlichten Medienbericht eine andere "Geburtskultur" in Deutschland. Ethisch betrachtet heiße das, zu akzeptieren, "dass die geburtshilfliche Situation – genau genommen unser ganzes Leben – durch einen hohen Grad an Nicht-Standardisierbarkeit und einer letztlich irreduziblen Unsicherheit gekennzeichnet ist. Denn nur so kann und darf das Lebendige hervortreten und wird erlebbar."

Eine provokante Sicht. Beim Verband der Hebammen in NRW hat man weniger eine solche Gesellschaftskritik im Blick. Dort überlegt man derzeit Aktionen, wie Demos oder Mahnwachen. Noch in dieser Woche werden Hebammen-Vertreterinnen mit Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zusammenkommen. Auch über die Landtags-Politik versucht man derzeit, für die Anliegen der Hebammen zu werben. Die sind auf Schadensbegrenzung ausgelegt. Und darauf, "unser Berufsbild zu sichern". Denn: zwei Drittel der Hebammen in NRW - genaue Zahlen gibt es laut Verband nicht - würden mittlerweile wegen der drastisch gestiegenen Versicherungsprämie, keine Geburtshilfe mehr anbieten.

Gesetzgeber soll Risiken für Versicherer deckeln

Klar sei, sagt Barbara Blomeier, "dass wir ohne Haftpflichtversicherung keine Geburtshilfe machen dürfen". Eine Absicherung gegen mögliche Risiken sei sinnvoll, sagt die 53-jährige freiberufliche Hebamme und Vizevorsitzende des Verbands. Sie sieht jedoch den Staat in der Pflicht die Probleme zu lösen, "weil wir Hebammen auch eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe leisten".

Konkret schlagen die Hebammenverbände vor, die Risiken für Versicherer zu deckeln - indem der Gesetzgeber den Bereich der Haftung reguliert und die Deckungssumme von derzeit sechs Millionen Euro auf zum Beispiel eine Million Euro deckelt. Den Rest trägt, tja, die öffentliche Hand. Diskutiert wird auch über ein Fonds-Modell - ebenfalls hauptsächlich aus öffentlichen Mitteln getragen. Denkbar sei auch eine Stiftung, nach niederländischem Vorbild.

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Bei Geburten auf Hebammen zu verzichten ist aus Blomeiers Sicht "keine Lösung" und würde vor allem nicht im Interesse von Schwangeren sein - siehe die eingangs genannte britische Studie. "Seit Jahrhunderten braucht es Frauen, die Gebärenden in der Geburtsphase zur Seite stehen", sagt Barbara Blomeier. Ärzte würden mehr mit Krankheit in Verbindung gebracht, meint sie: "Eine Geburt aber ist etwas völlig Natürliches".