Leipzig. Hartz-IV-Empfänger leiden laut einer Studie viel häufiger an psychischen Erkrankungen als Berufstätige. In Leipzig kooperiert das Jobcenter mit dem Universitätsklinikum, um Betroffenen zu helfen. Projektleiter Prof. Ulrich Hegerl kann sich vorstellen, das Modell auf andere Regionen zu übertragen.

Karin Rotte ist eine resolute Frau. Seit 2009 gehört die gelernte Köchin zwar zum Kreis der Langzeitarbeitslosen. Doch vom Schicksal unterkriegen lassen wollte sie sich nicht. "Ich bin erwerbslos, aber nicht arbeitslos", sagte sie lange selbstbewusst mit Blick auf ihr soziales Engagement. Den Verein "Gemeinsam stark - Helfende Hände Leipzig" hat sie mit aufgebaut. Bei der Gewerkschaft Verdi sitzt sie im Erwerbslosenausschuss.

Doch dann kamen kurz hintereinander schwere persönliche Schicksalsschläge: "Ich konnte nicht mehr lachen, ich war nicht mehr ich. Ich habe nur noch funktioniert," erzählt die 54-Jährige. "Ich habe gemerkt, ohne Hilfe komme ich da alleine nicht raus." Plötzlich ging gar nichts mehr bei Karin Rotte - bis das Jobcenter zur Hilfe kam.

Hartz-IV-Empfänger häufiger krank

Über ihren Berater kam sie ins sogenannte Psychosoziale Coaching - ein Modellprojekt der Universität Leipzig, das seit 2011 direkt im Jobcenter Leipzig angesiedelt ist. Betroffene haben dort die Möglichkeit, vertraulich mit einer Psychologin zu sprechen, erläutert Projektmitarbeiterin Juliane Tiefensee. "Wir sehen uns als Lotsen", sagt ihre Kollegin Anja Kästner.

Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) leiden Hartz-IV-Empfänger deutlich häufiger an psychischen Erkrankungen als Menschen, die im Arbeitsleben stehen. Demnach ist etwa ein Drittel der Hartz-IV-Empfänger von psychischen Erkrankungen betroffen. Besonders häufig: Depressionen und Angststörungen. Nach den Angaben der Stiftung Deutsche Depressionshilfe leiden in Deutschland insgesamt vier Millionen Menschen unter einer behandlungsbedürftigen Depression.

"Allein hätte ich das niemals geschafft"

Beim Jobcenter gebe es im psychosozialen Coaching Gruppenangebote, beispielsweise zu Entspannungstechniken oder zur Stressbewältigung. Betroffene, deren Erkrankung behandlungsbedürftig ist, würden indessen in das Gesundheitssystem "gelotst". "Wir helfen, dass die Kranken an die richtige Stelle kommen, helfen dabei, Termine bei Therapeuten oder in Kliniken zu bekommen", sagt Tiefensee. Bei Karin Rotte war das ein siebenwöchiger Aufenthalt in einer Tagesklinik. "Allein hätte ich das niemals geschafft", sagt sie.

"Man kann die Frage stellen: Ist ein solches Angebot Aufgabe eines Jobcenters", sagt Tiefensee. "Wir meinen: So kann direkt und zeitnah auf ein gravierendes Vermittlungshemmnis reagiert werden." Finanziert wird das Projekt aus Mitteln des Bundesarbeitsministeriums. Vorbild für das Leipziger Projekt war das Jobcenter München.

Nach Einschätzung von Projektleiter Prof. Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig, hat das Angebot Modellcharakter auch für andere Regionen. Durch direkte Hilfe könnten Hürden für die Vermittlung in den Arbeitsmarkt beseitigt werden. "Deshalb bedarf es bundesweit niedrigschwelliger Angebote." (dpa)