Paris. Höchst unerwartete Forschungsergebnisse erhielten jetzt Forscher, die den Zusammenhang zwischen Wohlstand und Lebenserwartung untersuchten. Demnach steigt die Sterblichkeitsrate bei anziehendem Wirtschaftswachstum bei alten Männern beispielsweise um 0,36 Prozent an.
Steigt mit wachsendem Wohlstand auch die Lebenserwartung? Eine neue Studie stellt diese weit verbreitete Ansicht jetzt in Frage. Laut der am Dienstag im Fachblatt "Journal of Epidemiology and Community Health" veröffentlichten Untersuchung steigt die Sterblichkeitsrate bei Älteren in Industrienationen bei anziehendem Wirtschaftswachstum. Die Forscher selbst waren überrascht: Die Ergebnisse ihrer Forschung seien "höchst unerwartet", sagte Herbert Rolden von der Akademie für Vitalität und Altern im niederländischen Leyden.
Langfristig betrachtet geht zunehmender Wohlstand mit einer Abnahme der Sterblichkeit quer durch alle Altersgruppen einher. Anders sieht es aus, wenn kurzfristige wirtschaftliche Veränderungen unter die Lupe genommen werden. Für ihre Studie untersuchten die Forscher Statistiken zu Sterblichkeit und Wirtschaftswachstum zwischen 1950 und 2008 in 19 Industriestaaten - den USA, Australien, Japan, Neuseeland und mehreren europäischen Ländern.
Zunahme der Sterblichkeit bis zu 0,36 Prozent
Das Ergebnis: Mit jeder Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um einen Prozentpunkt nahm die Sterblichkeit bei 70 bis 74 Jahre alten Männern um 0,36 Prozent zu. Bei gleichaltrigen Frauen betrug die Zunahme 0,18 Prozent. Bei 40- bis 45-Jährigen betrug der Zuwachs bei Männern 0,38 Prozent und bei Frauen 0,16 Prozent.
Das Ergebnis lässt sich den Forschern zufolge auch auf die derzeitige Wirtschaftskrise anwenden. "Weil viele Industriestaaten sich derzeit in einer Rezession befinden, könnte man glauben, dass dies sich negativ auf das Überleben im hohen Alter auswirkt", heißt es in der Studie. "Tatsächlich aber wurde herausgefunden, dass ein jährlicher Zuwachs bei der Arbeitslosigkeit oder eine Abnahme des Bruttoinlandsprodukts mit niedrigeren Sterberaten einhergehen."
Stress als häufige Ursache
Bei jüngeren Menschen werden für höhere Sterberaten in Zeiten des Wirtschaftswachstums Stress am Arbeitsplatz und eine höhere Zahl von Verkehrstoten infolge der vielen Menschen verantwortlich gemacht, die zur Arbeit fahren. Bei älteren Menschen dürfte dieses Argument aber nicht ziehen, weil diese in der Regel im Ruhestand seien, sagte Rolden. "Wir tappen noch im Dunkeln."
Ein möglicher Grund für die höhere Sterblichkeit bei Älteren in wirtschaftlichen Boom-Zeiten könnte sein, dass junge Menschen und Freunde dann weniger Zeit haben, sich um Ältere zu kümmern. Auch eine wachsende Luftverschmutzung, die in der Regel mit einer Zunahme der wirtschaftlichen Aktivität einhergeht, könnte verantwortlich sein. (afp)