Dortmund. . Die Deutschen sind Weltmeister im Operieren: Rücken, Hüfte oder Knie – Muss jede OP wirklich sein? Besser ist es, nach einer Diagnose einen zweiten Arzt um seine Meinung zu fragen. Zu diesem Zweck gibt es am Klinikum Dortmund nun das Zweitmeinungszentrum.

Maria S.* hat Rücken. So sagt man es ja heutzutage oft mit diesem launigen Unterton. Erheiternd findet Maria das alles allerdings schon lange nicht mehr. Die 39-jährige Frau aus Meinerzhagen im Märkischen Kreis ist innerhalb von gut zwei Jahren vier Mal an den Bandscheiben operiert worden. Für jeden dieser Eingriffe ist sie nach Thüringen gefahren, allein die letzte OP hat neun Stunden gedauert. Besser geworden sind ihre Rückenschmerzen nicht, im Gegenteil.

Maria hatte den Ärzten in der Fachklinik vertraut. Als es nicht besser wurde und die Thüringer jedes Mal einen weiteren Eingriff anrieten, hat die junge Frau das über sich ergehen lassen. „Es wird schon alles seine Richtigkeit haben, hatte ich lange gedacht“, erinnert sich Maria.

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Bis ein Verwandter sie wachrüttelte und ihr einen Kontakt zu Spezialisten in Berlin vermittelte. Dort konnten die Ärzte kaum glauben, was sie sahen: „Dass man Sie so oft operiert hat. In Ihrem jungen Alter. . .“ – diese Worte hörte Maria S. bei dem Check in Berlin. Man muss es so klar sagen: Hätte sie sich früher an zweiter fachkundiger Stelle vergewissert, wäre sie wohl weniger oder sogar gar nicht operiert worden.

Hüfte, Knie und Rücken: Hier wird besonders oft operiert

Genau hier setzt eine neue Idee aus Dortmund an: Das dortige Klinikum hat ein „Zweitmeinungszentrum“ eingerichtet. Hier können sich Patienten nach einer ersten Diagnose und vor einem Eingriff die Meinung eines weiteren Arztes einholen. „Wir wollen verunsicherten Patienten helfen“, sagt Professor Bernd-Dietrich Katthagen

Der Direktor der orthopädischen Klinik im Klinikum Dortmund weiß, dass etliche Patienten bei einem Befund ins Grübeln geraten. Muss die Operation wirklich sein? Gibt es Alternativen? Stimmt die Diagnose? Gerade bei schweren Erkrankungen sei das der Fall. Bei Krebs-Diagnosen oder anderen aufwändigen Eingriffen. „Häufig sind auch Eltern besorgt, wenn ihre Kinder operiert werden sollen“, sagt Katthagen.

Die Deutschen sind Weltmeister im Operieren

Wird in Deutschland zu schnell operiert? Aus Sicht der Öffentlichkeit gibt es ein klares „Ja!“. Vor wenigen Tagen erst hat ein Vergleich der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bestätigt, dass die Deutschen Weltmeister im Operieren sind. Allein die Zahl der Wirbelsäulen-Eingriffe hat sich laut Gesundheitsministerium zwischen 2005 und 2011 mehr als verdoppelt – auf 734 644. Auch bei der Hüfte und beim Knie liegt Deutschland im europäischen Vergleich vorne. Ist jede Operation aus medizinischer Sicht wirklich nötig? Böse Zungen sprechen von Geldmacherei.

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Der Dortmunder Hüft-Spezialist Katthagen erzählt aus der Erfahrung, wenn er sagt: „Es passiert ziemlich häufig, dass wir zu einer anderen Empfehlung kommen, gerade bei komplizierteren Fällen.“ 90 Prozent bestimmter Hüftleiden beispielsweise seien ohne Operation in den Griff zu bekommen. Wer als Arzt allzu leichtfertig einen Eingriff anordne, belaste die Betroffenen mit oft unnötigen Risiken.

Aber sehen müssen Katthagen und seine Kollegen einen Patienten schon, um sich ein Urteil erlauben zu können. Eine reine Online-Bewertung des Gesundheitszustandes schließt der Orthopäde aus. Er sagt: „Wir behandeln keine Dateien oder Röntgenbilder. Der persönliche Kontakt ist unerlässlich.“

Kooperation mit der AOK beschlossen

Eine solch institutionalisierte Form eines Zweitmeinungszentrums ist in Deutschland einmalig – noch. Katthagen geht davon aus, dass das Dortmunder Beispiel Schule machen könnte: „Ich bin sicher, dass so etwas in einigen Jahren Standard sein wird.“ Angesichts des Kostendrucks im Gesundheitssystem entdecken auch Versicherungen die Vorteile. Mit der AOK hat das Klinikum bereits eine Kooperation beschlossen. Aber auch Patienten anderer Kassen können eine Zweitmeinung einholen.

Eine zweite Untersuchung und Diagnose in dem Dortmunder Krankenhaus bedeutet übrigens nicht automatisch, dass der Patient auch hier weiterbehandelt wird. Die Ärzte setzen auf eine Zusammenarbeit mit anderen Häusern. „Wenn es für den Fall irgendwo anders Spezialisten gibt, dann verweisen wir dorthin. Es ist doch gerade das Vertrauen in den medizinischen Sachverstand, auf das Patienten bei ihrem Arzt setzen.“

Und was wird aus der rückengeplagten Maria S.? Sie beginnt jetzt eine vierwöchige Therapie in Berlin. Nach der vierten Operation hatte sich ihr Rücken so stark verformt, dass sie nur noch gekrümmt gehen kann. Die Berliner Mediziner versuchen das geradezurücken – ohne einen weiteren Eingriff.

Die wichtigsten Infos zum Dortmunder Zweitmeinungszentrum

Das Zweitmeinungszentrum im Klinikum Dortmund ist kein Institut mit eigenen Räumen, es versteht sich als übergreifendes Angebot aller 24 Kliniken im Haus. Patienten erhalten am einfachsten über die Klinik-Homepage einen Termin: www.klinikumdo.de, dort kurz das Anliegen schildern. „Meist bekommt der Patient innerhalb von etwa 14 Tagen einen Termin, je nach Terminlage der Klinik“, sagt Orthopäde Bernd-Dietrich Katthagen. Er betont: „Jeder Patient hat das Recht auf eine zweite Meinung.“