Essen. Lasern, liften, Botox spritzen: Männer legen sich immer häufiger unters Messer. Während die Laser leise surren, reitet der Marlboro-Mann auf und davon.

Ein Kasten auf Rollen brummt dumpf, eines seiner Kabel führt unter eine Wolldecke. Darunter liegt Christian Weber, in einem Behandlungszimmer des Bochumer Josef-Hospitals. Er leidet an einer neuen Volkskrankheit, nennen wir sie: Unzufriedenheit. Weber ist ein lockerer, offener Typ und hat sich spontan bereit erklärt, über diese Unzufriedenheit zu sprechen (aber seinen richtigen Namen möchte er hier doch nicht lesen). Der Fünfzigjährige hat ein markantes Gesicht, einen schlanken Körper und beeindruckend muskulöse Oberarme. Und – sein Problem? Wird gerade schockgefrostet, unter der Wolldecke. „Als ich aufhörte zu rauchen“, sagt Weber, „bildeten sich diese kleinen Speckrollen über der Hüfte. Die bin ich einfach nicht mehr losgeworden, trotz Fußballspielen und extra Bauchtraining.“

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Die Männer tun es den Frauen nach – und lassen sich mit moderner Medizintechnik verschönern. Lassen sich lasern und liften, Botox spritzen und Fett absaugen. Zugleich verändert ihre entschlossene Selbstmodellierung bisherige Vorstellungen von Männlichkeit. Menschliches Schönheitsstreben zieht sich durch die Jahrhunderte, wird aber in der Mediengesellschaft befeuert durch eine nie dagewesene Bildermacht. Dabei rührt es an eine Sehnsucht, die schon die antiken Philosophen beschäftigt hat: Schönheit ist ein Glücksversprechen.

Die Methode, mit der Christian Weber seine Speckröllchen abschmilzt, heißt „Coolsculpting“: Das Fett wird durch die niedrige Temperatur so geschädigt, dass der Körper in den Tagen und Wochen danach die Zellen selbständig abbaut. „Die Einfriermethode ist brandneu“, sagt Klaus Hoffmann, Leitender Arzt der Abteilung für ästhetisch operative Medizin der Unihautklinik Bochum. Im Carree des Josef-Hospitals behandelt er seit zehn Jahren Patienten, die mit sich unzufrieden sind. Die ihren Falten mit Botox die Stirn bieten wollen oder ihren Fettpolstern mit Lasern zu Leibe rücken, Laser, die das Gewebe schrumpfen lassen „wie die Pilze in der Pfanne“. Hoffmann ist ein kumpeliger Typ, kein Schönredner. Hüftröllchen sind Hüftröllchen. In Chirurgenkreisen werden sie auch „Prinzenrolle“ oder „Love Handles“ genannt (übersetzen Sie bitte selbst).

Operationen: Der rauschhafte Sog des Machbaren 

Wer sich mit dem 52-Jährigen unterhält, spürt schnell den rauschhaften Sog des Machbaren. Und hey, warum auch nicht? Hoffmann selbst lässt sich Botox in die Stirn spritzen: Das mindert Falten und verhindert Schweißperlen, „endlich läuft mir keine Sonnencreme mehr in die Augen“. Auch freut es ihn, wenn Freunde fragen, wieso er so entspannt aussieht: „Entspannt zu sein, das bedeutet, Freizeit zu haben – und Freizeit ist heute der größte Luxus.“

Ein neuer Adonis

Rund eine halbe Million Menschen legt sich in Deutschland jährlich unters Messer eines ästhetischen Chirurgen, so Schätzungen der Fachgesellschaften; hinzu kommen nicht-operative Eingriffe wie Faltenunterspritzung. Dabei holen die Männer rasant auf. In den vergangenen fünf Jahren hat sich der Anteil der Männer bei den Schönheitsoperationen verdoppelt, meldete jüngst die „Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie“ (DGÄPC), auf 16,8 Prozent der Patienten im Jahr 2012. Vermutlich liegt die Dunkelziffer höher: Haartransplantationen etwa nehmen Hautärzte vor, die hier nicht mitgezählt wurden.

In der Praxis des Dermatologen Hoffmann ist bereits jeder dritte Patient männlich. Männer zwischen 35 und 45, Männer, die nicht schlecht verdienen und gut auf sich achten. Häufig wollen sie Tränensäcke und Schlupflider beseitigen lassen, oft auch Fett absaugen. Oder aber das Gewebe mit Fillern aufbauen, etwa in den Wangen: In der Mitte ihres Lebens beginnen Männer gerne „mit einem intensiven Sportprogramm und verlieren viel Gewicht“, so Hoffmann. „Dabei fallen oft die Wangen so sehr ein, dass das kränklich und alt aussieht, was man mit Volumenfüllern gut korrigieren kann.“ Sehr beliebt seien auch die Haarentfernungen an Brust und Rücken: Die Industrie hat rasch auf den Trend zum enthaarten Männeroberkörper reagiert und Laser entwickelt, die großflächig arbeiten.

Männerbilder: Der Marlboro-Mann reitet auf und davon 

Und während die Laser leise surren, reitet der Marlboro-Mann auf und davon. Das Ideal männlicher Schönheit hat sich vom Raubein verabschiedet und Adonis zugewandt, es entspricht jetzt eher den griechischen Jünglingen auf antiken Vasen: Für viele Männer (und fast alle Männer unter 20) gehört die enthaarte Brust zum gepflegten Standard. Dieser neue Typ Mann dominiert auch die Werbung. Während es in den 80er-Jahren noch in der Branche hieß, ein „entblößter Mann“ sei „in der Hauptrolle für die erotische Werbung nahezu unbrauchbar“, darf er sich heute als Augenweide auf Plakaten, in Zeitschriften und im Fernsehen räkeln.

Methoden, die unter die Haut gehen

Diese Flut der (Vor-)Bilder ist neu. Zwar war auch unseren Vorfahren die Idee nicht ganz fremd, sich im Dienste modischer Schönheitsideale zu quälen: So trugen Männer etwa schwere Perücken und pfundweise Weißmehl im Gesicht, Frauen quetschten ihre Organe im Korsett zusammen. Der Kreis jener aber, mit denen sie sich verglichen haben, war sehr viel kleiner – und deshalb die Gefahr, an Unzufriedenheit zu erkranken, ungleich geringer. Heute messen wir uns beinahe zwangsläufig an einem beinahe global geltenden Ideal, dem in Wahrheit nur wenige Supermodels entsprechen. Und wir nutzen nicht mehr die Kleidung zur Formgebung, sondern modellieren unseren eigenen Körper mit Methoden, die im wahrsten Sinne unter die Haut gehen.

Eines der bekanntesten Gesichter des medialen Schönheitskultes ist Afschin Fatemi. Man könnte ihn als „Dermatologen mit operativem Schwerpunkt“ bezeichnen, hatte er gemailt, oder auch einfach als „Beauty-Doc“. Fatemi ist der Rockstar unter den Schönheitschirurgen, bei Kollegen umstritten, vom Volk geliebt. In seiner Praxis mit Blick auf den Kaiserswerther Markt begegnet er seinen Patienten zunächst auf dem Fernsehschirm, als Experte in einer TV-Reportage. Drei Frauen und ein Mann sitzen im stilvollen Wartezimmer, alle überraschend jung und hübsch. Der Mann kombiniert Turnschuhe zur lässigen Jeans und lächelt mit freundlichen Falten in den Augenwinkeln. Hoffentlich ist er nicht hier, um sie wegspritzen zu lassen!

Chirurg: Der Skalpell-Star hinter dem Mundschutz 

Ob Afschin Fatemi lächelt, kann man leider nicht erkennen. Die samtglatte Haut seiner Augenwinkel verrät nichts, und seinen Mund bedeckt ein OP-Schutz, den er auch im Gespräch anbehält – er ist erkältet, sagt er, und will sein Gegenüber nicht anstecken. Fatemi ist ein strenger Arzt: „Wenn jemand zu mir kommt und sagt, ich möchte aussehen wie Brad Pitt – dann ist das nicht die richtige Motivation für eine Operation.“ Gerade Männer würden eher als die Frauen dazu neigen, den neuen technischen Möglichkeiten zu viel zuzutrauen und die Risiken zu unterschätzen – „dieses Technologische, das zieht Männer einfach an“, so der 41-Jährige. Vielleicht schon ein erster Grund für den Trend: Vor zehn Jahren sei „einer von zehn Patienten“ männlich gewesen, heute ist es jeder vierte Praxisbesucher.

Der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Patienten? Frauen kämen oft mit vielen Wünschen zugleich. „Der Mann ist eher so der Ein-Problem-Fall. Das heißt, er hat vielleicht mehr Probleme – aber nur eines, das er selbst wahrnimmt.“ Die anderen optischen Schwachstellen, versichert Fatemi, nein, die spricht er dann auch nicht an. „Wenn jemand mit seiner großen Nase oder den wenigen Haaren auf dem Kopf zufrieden ist, dann ist das doch in Ordnung!“ Nur in den Anfangsjahren, als Assistenzarzt, da sei er durch die Fußgängerzone gelaufen und habe gedacht: Was man hier bei diesem Gesicht machen könnte, und da, und dort!

Skandalöse Schönheitsforschung

Schönheit ist ein Skandal. Schönheit beleidigt unsere Idee von uns selbst als Seelenwesen, Wesen, die anderen ins Herz schauen und nicht auf den Hintern. Kann es etwas Oberflächlicheres geben, als einen Menschen nach seinem Äußeren zu beurteilen, diesem Zufallswurf seiner Gene? Und doch passiert uns genau das, schon von Geburt an. Babys, denen zwei Gesichter gezeigt werden, schauen länger auf das schönere. Niedliche Säuglinge werden von ihren Müttern mehr geküsst und geherzt. Hübsche Kinder bekommen bessere Noten. Schöne Menschen werden eher zu Bewerbungsgesprächen eingeladen, besser bezahlt, schneller befördert. Selbst vor Gericht, so Studien aus den USA, erhalten schöne Menschen mildere Strafen! Als wäre all das nicht genug, haben schöne Menschen auch öfter Sex (und sind, wenig überraschend, zufriedener mit ihrem Liebesleben).

Was aber meinen wir eigentlich, wenn wir von „Schönheit“ sprechen? Makellose Haut, Durchschnittlichkeit, Symmetrie und ein Hauch Kindchen-Schema: Dies nennt der Mediziner Ulrich Renz in seinem Buch die wesentlichen Faktoren in der Schönheitsfrage. Weltweit herrscht Einigkeit darüber, dass etwa hohe Wangenknochen und große Augen ein Frauengesicht schön machen. Bei Männern allerdings wird die Frage kniffliger: „Nicht einmal das berühmte markante Kinn kommt in allen Studien gut weg.“ Denn das markante Kinn ist ein Testosteron-Marker – und zu viel davon scheint eben auch nicht gut zu sein.

Rollen: Der Mann begehrt, die Frau wird begehrt 

„Die“ Schönheit ist beim Menschen tatsächlich weiblich, evolutionsbiologisch sind Frauen das sprichwörtlich „schöne“ Geschlecht. Sie locken die Männchen mit Signalen an, die auf gute Fruchtbarkeit schließen lassen: das gebärfähige Becken oder reine Haut. Der Mann begehrt, die Frau wird begehrt – und tut alles zur Herstellung dieses Begehrens. Dass es genauso gut auch andersherum sein könnte, zeigt ein Blick ins Tierreich. Charles Darwin nannte es „sexuelle Selektion“, wenn Tiere potenzielle Partner zwecks Fortpflanzung „erregen und bezaubern“. Das Rad des Pfaus, der Lichtzauber des Glühwürmchens – pures Marketing in eigener Sache.

Die „Männerdämmerung“

Männer nehmen Elternzeit, sie wissen, wo im Supermarkt das Waschmittel steht und sie weinen nicht mehr heimlich. Männer müssen erleben, dass immer mehr Frauen karrieretechnisch auf die Überholspur gehen – und ihre Autos fahren bald auch wie von selbst, dank kluger Technik. Der Kontrollverlust droht, die Identitätskrise dräut. Was ist heute noch „typisch“ männlich?

„Auf einmal gibt es all diese jungen Frauen, die besser ausgebildet sind und mehr verdienen als gleichaltrige Männer“, sagt Hanna Rosin. Die Journalistin vertritt die These, dass die Wirtschaftskrise vor allem die Männer zu Verlierern macht, ihr Buch heißt: „Das Ende der Männer“. Sicher ist, dass hier ein klassisches Rollenmodell sein Ende erlebt. So klagt der Schriftsteller Ralf Bönt in einem Pamphlet („Das entehrte Geschlecht“) Rechte ein, die eher weiblich-weich scheinen – ein Recht auf Krankheit etwa, auf Schwäche, auf Zeit mit seinen Kindern. Er wehrt sich gegen die Reduzierung des Mannes wahlweise auf die Rolle des Ernährers oder die des bösen Aggressors.

Männer stehen unter Druck. Vielen seiner Patienten, erzählt der Bochumer Hoffmann, geht es um Konkurrenzfähigkeit: „Mit einem erfolgreichen Menschen verbindet man heute ein gewisses Aussehen“, sagt Hoffmann: „Das ist schon krasser geworden.“ Die Männer kämpfen gegen die üble Nachrede, sie würden „müde“ oder „abgekämpft“ wirken. Augenringe sind Karrierekiller. Andere Männer, so der Düsseldorfer Fatemi, „sehen älter aus, als sie sich fühlen. Dabei sind sie doch noch aktiv und voll im Leben“. Nicht selten sei eine neue Liebe im Spiel, für die der Mann sich aufhübschen will.

Einer wahren Legion von Studien zufolge wählen wir unsere Lebenspartner, so beschämend das ist, vor allem aufgrund ihres Aussehens aus. Dabei suchen wir uns instinktiv einen Partner, der unserem Attraktivitätsgrad entspricht. „Anspruchsniveaubildung“ lautet der Fachbegriff für die kluge Einsicht, dass wir bei Angelina Jolie (oder Brad Pitt) keine Chance haben. Diese Regel hat eine Ausnahme: Während Männern egal ist, ob eine schöne Frau einen Business-Anzug oder die Uniform einer Fast-Food-Kette trägt, sind Frauen von Macht, Geld und Status beeindruckt. Das bewährte Tauschgeschäft hieß bisher: Schönheit gegen Status. Wenn aber eine junge, hübsche Frau selbst am Beginn einer lukrativen Karriere steht, wie reizvoll ist dieser Tausch dann noch? Es scheint, als würde hier eine altbewährte Rechnung nicht mehr aufgehen.

Das Glücksversprechen der Schönheit

Schönheit ist ein Kapital, im Beruf wie im Privatleben. Und sie lässt sich heute, bis zu einem gewissen Grad jedenfalls, durch Kapital erkaufen. Schönheit gilt als Spiegel „eines gelungenen, mitunter auch eines am Aufstieg orientierten Lebens”, so die Soziologin Waltraud Posch, und nun unterlägen auch die Männer „einem kommerziell geprägten Schönheitsideal“.

Schönheit als Glücksverheißung 

Kommen wir noch einmal zu den Jünglingen auf den antiken griechischen Vasen, die unserem heutigen Schönheitsideal so verblüffend ähneln: muskulös und schlank, jugendlich und androgyn. Die griechische Antike lotete „das abgründige Versprechen der Schönheit“ aus wie keine Kultur nach ihr, so der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann. „Man kann über den Schönheitswahn unserer Gegenwart lächeln oder bestürzt sein“, so Liessmann, vielleicht aber äußere sich in ihr ein Gedanke, der schon die Antike umtrieb: „Wir erwarten vom Schönen nahezu reflexartig das Gute.“ Ein Zusammenhang, der nach den Griechen viele Denker beschäftigte, bis hin zu Schillers Idee von der „moralischen Schönheit“.

Wir sollten also nicht hässlich von der Schönheit denken. Aber, ein großes Aber: Die Glücksverheißung des Schönen kann trügerisch sein, wenn sie sich auf den eigenen Körper bezieht, denn Schönheit ist ein klassischer Stellvertreter-Wert. Ein schöner Mensch ist nur in Relation schön, im gespiegelten Blick seiner Umgebung. Schöne Menschen sind glücklicher, das stimmt – aber nur dann, sagt die Forschung, wenn sie sich auch schön fühlen. Ist dieses Gefühl wirklich etwas, dass sich mit Medizintechnik erreichen lässt? Oder müssten wir nicht, im Streben nach „Schönheit“, die Modezeitschriften beiseite legen und eher danach forschen, welches Glück wir eigentlich meinen?

Einer der ersten, die über Schönheit nachdachten, war Platon im „Symposion“. Nach einer langen Rede über Eros, das Begehren und die Schönheit geht Sokrates, der kleine, hässliche Mann, als Schönster der Runde hervor – wegen seiner geradezu göttlichen Gedanken.

Ganz schön schlau, oder?

Ein bisschen, gesteht Christian Weber in seinem Behandlungszimmer im Bochumer Josef-Hospital, zwickt die Frostbehandlung – „aber nicht sehr“. Für ihn war dieser erste Ausflug in die Abteilung Ästhetische Chirurgie eine rein rationale Entscheidung. Ein Eingriff wie dieser kostet im Durchschnitt knapp 2000 Euro; für Weber schien er lohnend. Die Alternative jedenfalls hat er gescheut: „Ich hätte sonst neue Sakkos kaufen müssen.“