Witten. . Über 20 Millionen Deutsche haben Rheuma, so Schätzungen. Dass bereits Kleinkinder, sogar Babys, an der Krankheit leiden können, ist nur wenigen bekannt. Warum Eltern Gelenkprobleme ihres Kindes immer ernst nehmen sollten, erklärt Dr. Ralf Seul, Kinderrheumatologe am Marien-Hospital in Witten.
Rheuma – jeder vierte Deutsche ist betroffen, heißt es bei der Deutschen Rheuma-Liga. Eine Volkskrankheit, von der die meisten meinen, sie sei ein „Alte-Leute-Leiden“. Dass schon Kleinkinder, selbst Babys, Rheuma haben können, ist vielen nicht bekannt. Die Folge: Rheumakranke Jungen und Mädchen bekommen oft erst spät die richtige Diagnose – manchmal erst nach einer „Ärzte-Odyssee“. 15.000 bis 20.000 Kinder und Jugendliche leiden in Deutschland – nach Schätzungen – an durch Rheuma bedingten chronischen Gelenkentzündungen. Warum Eltern Gelenkprobleme ihres Kindes immer ernst nehmen sollten, erklärt Dr. Ralf Seul, Kinderrheumatologe am Marien-Hospital in Witten.
Bei Kindern beginnt Rheuma manchmal scheinbar harmlos: plötzliches Fieber, Gelenke schmerzen, oft ist das Knie betroffen, das anschwillt. „In der Regel sind die betroffenen Gelenke überwärmt. Es kann sein, dass sie etwas gerötet sind. Die Beweglichkeit ist eingeschränkt, die Bewegung schmerzt“, so Seul. Bei einer Erkrankung größerer Gelenke sei oft ein Erguss zu tasten.
Wichtig: Der Gang zum Facharzt
„Viele Kinder kommen mit ihren Eltern relativ spät zu einem auf Kinderrheuma spezialisierten Facharzt“, beklagt der Wittener Mediziner. Meist werde das dicke Knie eines Kindes zunächst dem Kinderarzt gezeigt. Eventuell werde danach der Erguss am Knie von einem Chirurgen punktiert. „Der Erguss ist weg. Zwei Tage später ist das Knie aber wieder dick.“ Weil Rheuma dahinterstecke. Seul: „Es gilt die Regel: Jede ungeklärte Gelenkentzündung, die länger als sechs Wochen andauert, ist wahrscheinlich ein kindliches Rheuma.“
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Kinderrheumatologen seien hier die richtige Adresse. „Sie findet man in Nordrhein-Westfalen meist an Kliniken. Niedergelassene Kollegen gibt es nur wenige.“ Ein typisches Rheuma-Anzeichen – bei Kindern wie Erwachsenen – sei auch, wenn die Gelenke morgens steif seien. „Meint, jemand braucht morgens zum Beispiel zehn Minuten, um sich sozusagen warm zu laufen.“
Die Krankheit hat einen Namen: JIA
Die häufigste chronisch entzündliche, rheumatische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen heißt JIA. Die Abkürzung steht für juvenile (jugendliche) idiopathische (unbekannte Ursache) Arthritis (Gelenkentzündung). Ärzte unterteilen die Erkrankung in verschiedene Untergruppen: Sind weniger als fünf Gelenke betroffen, sprechen sie von einer Oligoarthritis. Diese tritt meist zwischen dem 2. und 4. Lebensjahr auf. Mädchen erkranken häufiger als Jungen. „Rund 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit JIA leiden hieran“, erläutert Seul. Vom Rheuma betroffen seien meist Knie oder Sprunggelenk. Ein Teil der Patienten entwickelt eine rheumatische Augenentzündung, die nur durch eine regelmäßige augenärztliche Untersuchung erkannt werden kann.
Von einer Polyarthritis ist die Rede, wenn fünf Gelenke und mehr entzündet sind. Sind neben den Gelenken auch Sehnenansätze entzündet, handelt es sich um eine Enthesitis-assoziierte Arthritis. Diese beginnt meist im Schulalter, betroffen sind bevorzugt Jungen
Was löst das Rheuma aus?
Rheuma ist eine Autoimmunerkrankung. Durch eine fehlerhafte Reaktion des Immunsystems findet eine Entzündung an den Gelenken, an Sehnenscheiden oder sogar inneren Organen (vor allem am Auge) statt. Die Krankheit verläuft meist in Schüben. Über die Ursachen für Rheuma bei Kindern weiß man noch wenig. Offenbar sind mehrere Faktoren wichtig. Ralf Seul: „Eine genetische Bereitschaft für Rheuma kann eine Rolle spielen.“ Seelische Belastungen könnten eine bestehende Erkrankung verstärken. „Es gibt Umweltfaktoren: In Norddeutschland ist Rheuma häufiger als in Süddeutschland, in Nordeuropa häufiger als in Südeuropa.“ Auch Infektionen mit Viren oder Bakterien könnten Auslöser von rheumatischen Krankheitsbildern sein. „Bei einer durch Zecken übertragbaren Borreliose etwa kann eine massive Arthritis auftreten.“
Rheuma-Therapien
Rheuma kann mit der richtigen Therapie kontrolliert, in Schach gehalten werden. Findet keine gezielte Therapie statt, kann das betroffene Gelenk allmählich zerstört werden. Seul: „Daher ist eine frühzeitige Therapie wichtig. Ihr Ziel ist es, den Betroffenen wieder in die Lage zu versetzen, ein normales Leben zu führen. Was meist funktioniert.“
Eine konsequente medikamentöse Behandlung sei für Kinder nötig, um einen möglichst schnellen Rückgang der Entzündung zu erreichen. Es werden Medikamente verordnet, die schmerzlindernd und entzündungshemmend wirken. Bei einem schweren Verlauf des Rheumas nutzt man auch Mittel, die regulierend in das Immunsystem eingreifen. „Bei Kindern sollte man eine Kortison-Therapie gezielt einsetzen. Sind nur wenige Gelenke von einer rheumatischen Entzündung betroffen, haben wir in der Klinik gute Erfahrungen mit Kortison-Injektionen gemacht. Das Mittel wird in die Gelenke gespritzt, um die Entzündung dort zu bekämpfen, wo sie entsteht“, sagt Seul.
Bewegung ist wichtig
Rheumakinder sollen sich bewegen, weil es ihrem Körper und ihrer Seele gut tut. „Krankengymnastik ist wichtig“, so der Kinderrheumatologe. „Um die Bewegungsmöglichkeiten so rasch wie möglich zu verbessern.“ Schwimmen sei super, Radfahren auf ebenen Strecken auch. Beim Thema Bewegung komme es immer darauf an, welche Gelenke erkrankt seien. „Sind es Knie oder Sprunggelenke, rate ich von Tischtennis oder Badminton ab.“
Über 100 verschiedene Krankheiten
Rheuma ist ein Sammelbegriff für entzündliche und degenerative Krankheiten mit unterschiedlichen Symptomen und Verläufen. Über 100 rheumatische Krankheiten sind bekannt. Sie greifen den Bewegungsapparat an, verursachen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Auch innere Organe wie Herz, Lunge, Leber, selbst Blutgefäße können mit erkranken.