Berlin. Steifer Nacken, schmerzen im Kreuz oder in der Hüfte: Immer mehr Kinder werden schon in jungem Alter wegen Rückenleiden behandelt. Als häufigste Ursache vermuten Ärzte Bewegungsmangel. Im Einzelfall können Rückschmerzen aber auch eine Vielzahl weitere Ursachen haben.
Immer häufiger klagen Kinder über einen steifen Nacken, über Schmerzen im Kreuz oder in der Hüfte. In den meisten Fällen werden dafür keine organischen Ursachen gefunden. Im guten Glauben, das Richtige zu tun, packen die besorgten Eltern ihren Liebling dann in Watte, verordnen Schonung und Ruhe - und schaden ihm damit ungewollt noch mehr. Denn allzu oft liegt die eigentliche Ursache im Bewegungsmangel.
"Vor allem der sogenannte banale Rückenschmerz ohne anatomische Besonderheiten hat in den letzten zehn Jahren zugenommen", sagt der Direktor der Klinik für Orthopädie am Universitätsklinikum Düsseldorf, Professor Rüdiger Krauspe. "Das heißt, Kinder, die von allen untersuchten Geweben her gesund sind, klagen über Rückenschmerzen, und das kann dann nur ein funktionelles Problem sein", schlussfolgert der Experte. Verantwortlich für diese Misere hält Krauspe in erster Linie die Bewegungsarmut, von der viele Schulkinder und Jugendliche betroffen sind.
Mangelnder Schulsport erhöht Risiko
Während sie noch als Kleinkinder kaum eine Gelegenheit ausließen, herumzutoben, herumzupurzeln, zu springen und zu klettern, wird ihre körperliche Aktivität von einem bestimmten Alter, oft mit dem Eintritt in die Schule, mehr und mehr eingeschränkt. Viele Tätigkeiten werden nur noch im Sitzen ausgeführt. Die Wirbelsäule wird zumeist nur noch einseitig belastet, die wenig trainierten Muskeln schrumpfen und können ihre Aufgabe dadurch nicht mehr erfüllen. "Man darf annehmen, dass Bewegungsarmut, Übergewichtigkeit und nicht zuletzt auch mangelnde Anleitung und mangelnde Stundenzahl beim Schulsport das Risiko erhöht, dass Kinder und Jugendliche mehr Rückenschmerzen haben", fasst der Professor die wesentlichen Ursachen zusammen.
Rückenschmerzen - was tun?
Krauspe verweist auf epidemiologische Untersuchungen zu chronischen Schmerzen, in denen eine sogenannte soziale Inhärenz nachgewiesen wurde. Die Wissenschaftler konnten aufzeigen, dass in Familien, in denen die Eltern über chronische Kopfschmerzen, Bauchschmerzen oder Rückenschmerzen klagten, wiederum auch deren Kinder signifikant betroffen waren. Viele Mediziner sehen daher mit Sorge, wie das Gift der Bewegungsarmut, der körperlichen und geistigen Trägheit von den Erwachsenen auf die Kinder übertragen wird. "Wenn die Eltern kein Interesse haben, hinaus in die Natur zu gehen und sich zu bewegen, dann werden es die Kinder wohl auch nicht tun", betont Krauspe.
Rückenschmerzen können auf andere Erkrankungen hinweisen
Allerdings darf man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und die Ursache für Rückenschmerzen allein im Bewegungsmangel sehen, warnt der Experte. Jeder Patient müsse sorgfältig diagnostiziert werden. Das gelte ganz besonders auch für Kinder und Jugendliche, weil sich gelegentlich hinter dem Rückenschmerz eine ernste Erkrankung oder Fehlbildung verbergen könne. Bei einer Entzündung der Wirbelsäule etwa sei es sogar kontraproduktiv, eine Bewegungstherapie zu verordnen. Vielmehr sei es hier notwendig, den Körper ruhigzustellen und die Entzündung zu behandeln, bis der Rücken wieder geheilt sei.
"Rückenschmerzen können auf gut- oder bösartige Tumore hinweisen, auf Entzündungen und angeborene Fehlbildungen der Wirbelsäule, die deren Belastbarkeit herabsetzen. Da gibt es eine ganze Reihe von zum Teil sehr speziellen, zum Teil sehr seltenen Erkrankungen, die man als Spezialist im Kopf haben muss, wenn man die Kinder untersucht und die Familien dann berät", sagt Krauspe. Bei bestimmten Leiden, die auf konventionellem Wege nicht behoben werden könnten, sei eine Operation angezeigt.
Schmerzen des Kindes genau beobachten
Wenn das Kind über Kreuzschmerzen klagt, sollten die Eltern zunächst beobachten, ob die Schmerzen zu bestimmten Zeiten des Tages auftreten oder nach bestimmten Belastungen, ob einmal in der Woche oder einmal im Monat oder gar an jedem Tag und in jeder Nacht. Und je intensiver der Schmerz ist, vor allem auch nachts, umso rascher sollte man zum Kinderarzt oder zum spezialisierten Kinderorthopäden gehen. In aller Regel aber gehe es bei ansonsten gesunden Kindern und Jugendlichen darum, möglichst unter sachkundiger Anleitung bei Sport und Spiel die Muskeln zu stärken. Und wenn sich besondere Probleme mit dem Rücken aufzeigten, sei eine spezielle Krankengymnastik sinnvoll, meint der Professor. (Jochen Wiesigel/dapd)