Peking/Essen. .

Macht die chinesische Führung jetzt Ernst im Kampf gegen Arznei-Fälscher? Völlig überraschend haben 18.000 Einsatzkräfte, offenbar gut koordiniert, in allen Landesteilen zugeschlagen. Sie durchsuchten 1100 illegale Produktionsstätten, nahmen 2000 mutmaßliche Fälscher fest und stellten nachgemachte Medikamente im Wert von 180 Millionen US-Dollar sicher.

Dabei kamen die Gesundheit gefährdende Mixturen zum Vorschein: Giftiger Chrom, der unter die Tabletten gemischt war, die vermeintlich gegen Diabetes, Bluthochdruck und Tollwut helfen sollen. Man fand auch Gelatinekapseln, die aus dem Leder alter Schuhe zusammengemischt waren.

China ist – neben Indien – Hauptherkunftsland tödlicher Plagiate

Derart kriminelles Vorgehen ist für die deutschen Zollfahnder seit ungefähr fünf Jahren eine alltägliche Erfahrung. Zwischen 1996 und 2008 waren bundesweit gerade 40 Fälle von Medikamentenfälschungen bekannt. Allein 2010 wurden dann zehn Millionen falsche Tabletten beschlagnahmt. Im Bereich des größten deutschen Zollfahndungsamtes in Essen stieg die Zahl der Ermittlungsverfahren 2011 noch einmal um 49 Prozent auf 112. Nur am Köln-Bonner Flughafen entdeckten die Zöllner 25 Kilo Doping-Fakes.

Beim Zoll haben sie also auf den Zugriff der Asiaten gehofft. Denn China ist – neben Indien – Hauptherkunftsland der oft tödlichen Plagiate, die massenweise im Internet auch gegen Bluthochdruck, Aids, zu hohes Cholesterin oder Alzheimer angeboten und dort unter hygienisch katastrophalen Bedingungen gekocht werden. „Entweder enthalten die im Internet bestellten Tabletten überhaupt keine Wirkstoffe, zu viele davon oder ganz andere“, erzählt ein Fahnder. Die angeblichen Arzneien sind durchsetzt mit Borsäure, Bohnerwachs oder mit dem Aufputschmittel Speed.

Schmuggelroute verläuft über Osteuropa

Unter anderem durch die zwei Zoll-Großaktionen unter den Tarnnamen „Pangea“ und „Männerapotheke“ sind ganze Vertriebsnetze aufgeflogen. 2009 durchsuchten Essener Beamte Lagerhallen und Wohnungen in Dortmund, Castrop-Rauxel, Haltern, Herne und Gelsenkirchen und fanden dort 46.000 Pillen. Doch trotz der zunehmenden Gefahr, beim Schmuggel über die Balkanroute oder Osteuropa ertappt zu werden, lohnt das Risiko für die Tabletten-Mafia immer noch.

Denn der Gewinn ist gewaltig. Eine gefälschte Tablette in Asien herzustellen kostet 25 Cent. Vier von denen werden über das Internet in Europa verkauft – für 70 Euro. Das sind Spannen wie beim Drogenhandel. „Die Medikamentenfälschung ist nicht ausgemerzt. Die Kriminellen werden raffinierter“, räumte gestern das Pekinger Sicherheitsministerium ein.