Düsseldorf. .

Warum greifen alte Menschen zur Flasche? Sucht im Alter ist ein wachsendes Problem, das nur selten erkannt und noch viel seltener behandelt wird. Verbreitetes Argument: Das lohnt sich nicht mehr.

„Gönn’ dem Opa doch sein Schnäpschen, damit wird er hundert Jahre alt.“ Solche Sätze sind gut gemeint, aber nach Einschätzung von Experten verharmlosen sie ein wachsendes Problem: die Sucht im Alter. Jeder zehnte Patient in Allgemeinarztpraxen wird heute wegen Alkohol- oder Tablettenmissbrauchs behandelt. Die Dunkelziffer dürfte hoch sein, denn häufig wird das Problem einfach nicht erkannt. Und wenn, dann ist die Behandlung schwierig: Denn die Krankenkassen verweigern alten Menschen meist die Therapie in einer Reha-Einrichtung. Argument: Das lohnt sich nicht mehr.

Dieses Dilemma stand im Mittelpunkt einer Tagung, zu der die Allgemeine Hospitalgesellschaft nach Düsseldorf eingeladen hatte. Diese Gesellschaft betreibt 45 Kliniken und Therapiezentren in Deutschland. Ihr erklärtes Ziel: an der Haltung der Kassen zu rütteln.

Warum greifen alte Menschen zur Flasche? Oft weil sie nicht klar kommen mit dem Abschied vom geliebten Beruf, oder weil sie den Verlust eines Partners nicht verkraften. „Es gibt viel zu wenig Forschung, das Thema ist unterbelichtet“, kritisiert Professorin Adelheid Kuhlmey, Fachfrau für Alterserkrankungen von der Charité in Berlin. Fest steht: Im Jahr 2008 wurden über 18 000 Menschen, die älter als 55 Jahre waren, schwer alkoholisiert ins Krankenhaus gebracht – mehr als doppelt so viele wie vor einigen Jahren.

Kaum Therapieplätze

Über die Gründe rätseln die Fachleute. Aber Krisen im fortgeschrittenen Alter können das Fass buchstäblich zum Überlaufen bringen. Heißt: Jemand, der immer schon ganz gern getrunken hat, rutscht nun möglicherweise ab in die Sucht. Wobei Alkohol, so Adelheid Kuhlmey, eher ein männliches Problem ist. „Die Frauen schlucken Tabletten.“

Aber nicht nur die Sucht im Alter werde unterschätzt, sondern auch die Behandlungschancen. Da seien viele Hausärzte immer noch der Meinung: „Ach, lass den Opa doch weiter trinken.“ Dabei seien die Aussichten, ein trockenes Leben zu führen, bei Älteren durchaus größer als bei jungen Menschen. Vielleicht weil Senioren überrascht feststellen, dass sie nach Entgiftung und anschließender Reha eine größere Selbstständigkeit und damit eine völlig neue Lebensqualität gewinnen. Wenn es ihnen denn gelingt, einen der raren Therapieplätze für Ältere zu ergattern.

Nach einer Studie des Bundesforschungsministeriums gibt es überhaupt nur 20 Prozent der benötigten Reha-Plätze für alle Altersgruppen. Außerdem bedarf es harter Verhandlungen mit den Krankenkassen, bis die sich (vielleicht) dazu entschließen, einem 68-Jährigen eine Reha zu bezahlen. „Obwohl die Folgen der Sucht viel teurer sind“, kritisiert der Gesundheitsökonom Professor Lothar Feige. Außerdem gibt er zu bedenken: „In Zukunft müssen die Menschen länger arbeiten. Wir sollten dafür sorgen, dass sie auch länger fit bleiben.“

Heute aber, so die einhellige Kritik, würden Ältere von einer Reha regelrecht ausgeschlossen.