Wuppertal. . Barmer-Chef Christoph Straub warnt vor Experimenten mit den Milliarden-Rücklagen der gesetzlichen Krankenkassen. Schon im kommenden Jahr drohten neue Finanzierungslücken, sagt der promovierte Mediziner.

Die gesetzlichen Krankenkassen haben Rücklagen in Milliardenhöhe angehäuft. Barmer-Chef Christoph Straub erklärt im Gespräch mit Stefan Schulte, warum seine Kasse auf das Geld trotzdem nicht verzichten kann.

Herr Straub, die Kassen und der Gesundheitsfonds sitzen auf einem Polster von fast 20 Milliarden Euro. Wie dick ist Ihres?

Straub: Die Barmer GEK hat 2011 ein Polster von rund 650 Millionen Euro aufbauen können. Allein 480 Millionen davon sind aber als Mindestrücklage gesetzlich vorgeschrieben. Das klingt vielleicht viel, doch man muss auch sehen, dass wir jeden Tag knapp 70 Millionen Euro für Leistungen ausgeben.

Haben Sie das Geld Ihrer Versicherten auch gut angelegt?

Das Geld wird von unseren Finanzspezialisten gut angelegt, nach klaren, sehr strengen Regeln. So legen wir das Geld unserer Versicherten nur in beste Bonitäten an.

Die Versicherten hätten es vielleicht auch gern zurück. Sie sind gegen Beitragssenkung und gegen Bonuszahlungen. Was soll dann mit dem Geld geschehen?

Wir halten das Geld zusammen, es ist nicht so viel, um damit Experimente zu machen. Wir setzen auf langfristige Beitragsstabilität. Das ist für uns das wichtigste Signal an unsere Versicherten. Die Ausgaben steigen wieder, das sehen wir schon jetzt, zum Beispiel bei den Arzneien und durch steigende Fallzahlen in den Krankenhäusern. Und die jüngsten Forderungen der Ärzte nach mehr Geld belaufen sich auf 3,5 Milliarden Euro.

„Neue Lücken in Milliardenhöhe“

Wann werden denn die Rücklagen aufgebraucht sein? Die mittelfristige Kalkulation für die gesetzliche Krankenversicherung geht ab 2013 von neuen Lücken in Milliardenhöhe aus. Wir laufen in eine Situation steigender Kosten hinein, die Rücklagen werden wir also schnell wieder brauchen. Das System gerät wieder unter Druck.
Selbst die SPD will die Praxisgebühr, also ihre eigene Erfindung, abschaffen. Wer die Praxisgebühr abschaffen will, muss auch sagen, wo die jährlich zwei Milliarden Euro dann künftig herkommen sollen.

Zum Beispiel durch die zwei Milliarden, die sich der Finanzminister jetzt aus dem großen Topf nehmen darf?

Eher unwahrscheinlich. Aber daran sehen Sie doch: Es gibt jede Menge Ideen, wie man dem System Geld entziehen kann. Wenn dann bald einige Kassen wieder Zusatzbeiträge nehmen müssen, wäre doch nichts gewonnen.
Aber die Praxisgebühr ist nun mal ein Flop, sie hält niemanden davon ab, zum Arzt zu gehen.

Ja, das Ziel, die Arztbesuche zu steuern, wurde anfangs nur teilweise erreicht und ist inzwischen verpufft. Dennoch ist das System auf das Geld angewiesen. Wenn die Politik für Kompensation sorgt, kann sie die Gebühr abschaffen. Sonst nicht.

„Wir fordern nicht die Abschaffung der PKV“

Was Ihnen gefallen dürfte ist, dass nun auch die CDU die private Krankenversicherung infrage stellt. Freuen Sie sich schon auf neue Versicherte?

Wir fordern nicht die Abschaffung der PKV. Aber heute werden selbst aus den Privatkonzernen kritische Fragen zur Tragfähigkeit des Geschäftsmodells gestellt. Das Modell der gesetzlichen Kassen ist jedenfalls in der Lage, die gesamte Bevölkerung abzusichern.

Herr Straub, wenn der Beitrag für alle gleich ist, müssten Sie nicht jeden freien Cent in bessere Leistungen stecken, um Versicherte zu werben?

Wir investieren in hochwertige medizinische Versorgung. Wir halten aber nichts davon, Leistungen anzubieten, deren Wirksamkeit nicht gesichert ist.
Es gibt keine sinnvollen Zusatzangebote, die Sie außerhalb des vorgeschriebenen Leistungskatalogs anbieten können?

Wir engagieren uns stark in der Prävention, mit Schwerpunkten wie Bewegung und Stressabbau. Dafür steht unsere Aktion ,Deutschland bewegt sich’.

„Wir müssen bei den Kleinen ansetzen“

Ist nicht falsche Ernährung ein noch größeres Problem?

Sicher, das gehört dazu. Wir beobachten eine epidemische Zunahme von Übergewichtigkeit in Deutschland, gerade auch bei Kindern. Und daraus folgend eine Zunahme an Diabetes und Herz-/Kreislauf-Erkrankungen. Und was tun Sie dagegen?

Wir müssen bei den Kleinen ansetzen. Es ist häufig katas­trophal, was den Kindern etwa in Schulküchen vorgesetzt wird. Deshalb bezahlen wir zusätzliche Früherkennungsuntersuchungen für Kinder und unterstützen Aktionen wie zum Beispiel die Mini-Köche, wo Kinder lernen, was gesunde Lebensmittel sind und wie man sie zubereitet.