Berlin. . Der Streit um die von den Krankenkassen angehäuften Milliarden geht in eine neue Runde: Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, warnte davor, die Milliarden nach dem Gießkannenprinzip zu „verplempern“. Er begrüßt aber Überlegungen, die Praxisgebührt abzuschaffen.
Der Streit um die von den gesetzlichen Krankenkassen angehäuften Milliarden geht weiter: Haushaltsexperten der Berliner Regierungskoalition pochen wegen der Kosten der Euro-Stabilisierung auf Kürzungen beim Gesundheitsfonds. Der Chefhaushälter der Unionsfraktion, Norbert Barthle, zog am Donnerstag Abstriche bei der Finanzierung versicherungsfremder Leistungen aus dem Bundeshaushalt ins Kalkül. Dafür überweist der Bund jährlich 14 Milliarden Euro an den Fonds, in dem die Beitrags- und Steuereinnahmen gesammelt und an die Kassen verteilt werden. Der Wirtschaftsflügel der Unionsfraktion betonte, oberstes Ziel müsse ein ausgeglichener Haushalt sein. Gegen die Kürzungspläne laufen Gesundheitspolitiker Sturm.
Die Ärzteschaft warnt dagegen davor, die Milliardenüberschüsse der Krankenkassen an die Versicherten auszuschütten. Angesichts der weltweiten Konjunkturkrise und der Euro-Probleme sollte das Geld besser in die Vorsorge für die sozialen Sicherungssysteme gesteckt werden, statt die Überschüsse nach dem Gießkannenprinzip zu „verplempern“, erklärte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, am Donnerstag in Berlin. So sei die Finanzausstattung in der ambulanten ärztlichen Versorgung in vielen Regionen Deutschlands unzureichend. Beitragssatzsenkungen oder Boni wären „schnell verfrühstückt und vergessen“, mahnte Montgomery. Sollte allerdings wieder Knappheit im Gesundheitsfonds herrschen, werde die Wiederanhebung zu einem sehr viel größeren politischen Problem, fügte er hinzu.
„Die Gebühr hat nichts gesteuert“
Montgomery begrüßt allerdings Überlegungen zur Abschaffung der Praxisgebühr. „Wir haben bereits viele Anträge gestellt, die Praxisgebühr wegen Sinnlosigkeit abzuschaffen“, sagte er der WAZ-Mediengruppe. Ihren eigentlichen Zweck, die Zahl der Arztbesuche zu reduzieren, habe die Gebühr nicht erfüllt. „Die Gebühr hat nichts gesteuert, mit ihr ist lediglich Geld von den Versicherten abkassiert worden.“ Die Abschaffung der Praxisgebühr nannte Montgomery die vernünftigste Art, die aktuellen Überschüsse der Krankenkassen an die Versicherten zu geben.
Der Streit über den Steuerzuschuss zum Gesundheitsfonds brach neu auf, nachdem bekanntgeworden war, dass die Krankenkassen auf Rücklagen von zehn Milliarden Euro sitzen. Hinzu kommen 9,5 Milliarden Euro, die der Gesundheitsfonds angehäuft hat. Andererseits steht die Regierung unter hohem Spardruck, weil sie voraussichtlich auch im kommenden Jahr 8,7 Milliarden Euro an den Euro-Rettungsschirm ESM überweisen muss, wie die Nachrichtenagentur Reuters aus Koalitionskreisen erfuhr. Zudem klaffen Lücken in der bisherigen Haushaltsplanung wie die ungewisse Einnahme aus einer Börsensteuer von zwei Milliarden Euro.
Schäuble will Sonderzahlung zurück
Zwei Milliarden Euro wollen Finanzminister Wolfgang Schäuble und die Haushaltsexperten der Koalition deshalb auf jeden Fall vom Gesundheitsfonds zurückbekommen. Dabei handelt es sich um eine Sonderzahlung aus dem Jahr 2010, die dazu vorgesehen war, soziale Härten bei der Erhebung von Zusatzbeiträgen der Kassen auszugleichen. Das Geld ist allerdings nicht gebraucht worden. Über die Rückzahlung bestehe Einigkeit, sagte Barthle.
Die Frage ist nun, was mit den weiteren 14 Milliarden Euro geschehen soll, mit denen etwa die kostenlose Mitversicherung von Kindern finanziert wird. Barthle sagte, sollte sich die Regierung darauf einigen, auch hier zu kürzen, „würden wir als Haushälter dagegen keinen Widerstand leisten“. Am 21. März will Schäuble dem Kabinett Eckwerte für den Bundeshaushalt 2013 präsentieren. Bis dahin sollte klar sein, ob an dieser Schraube gedreht wird. Lobbyverbände und Gesundheitspolitik wehren sich heftig dagegen, weil sie weitere Rücklagen für schlechte Zeiten bilden wollen. Barthle sagte dagegen, es sei schwer zu erklären, dass in einem mit Steuern gespeisten Fonds Rücklagen gebildet würden, für die der Bund neue Kredite aufnehmen und Zinsen bezahlen müsse.
Ausgeglichener Etat als Ziel
Der Wirtschaftsexperte und Vizechef der Unionsfraktion, Michael Fuchs, sagte, Schäuble müsse noch viel mehr sparen: „Oberstes Ziel muss ein ausgeglichener Haushalt sein, den wir anstreben.“ Spielraum gebe es auch im Arbeitsministerium: „Wenn die Arbeitslosigkeit sinkt, muss sich dies auch im Etat der Arbeitsministerin zeigen.“ Nach Angaben aus der Koalition will Schäuble schon 2014 die eigentlich erst für 2016 vorgesehene Vorgabe der Schuldenbremse einhalten, dass der Bund seine jährliche Neuverschuldung auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes begrenzt. Das entspricht etwa zehn Milliarden Euro. 2011 brauchte der Bund 17,3 Milliarden Euro an neuen Krediten.
Der CSU-Gesundheitsexperte und stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johannes Singhammer, lehnte ein Rücknahme der Zuschüsse an den Gesundheitsfonds strikt ab. „Wir müssen im Gegenteil ein Finanzpolster aufbauen, zumal wir dies bei der Pflegeversicherung auch diskutieren“, sagte er Reuters. „Wir brauchen eine dauerhafte Rücklage. Wir dürfen keinen Zick-Zack-Kurs fahren.“ Er habe zwar Verständnis für Schäuble. „Aber dies ist die falsche Stelle, um Geld zu sparen“, betonte er.
Zweifel am Tritt auf die Schuldenbremse
Die Opposition bezweifelt, dass es der Koalition wegen des Streits gelingt, kräftig auf die Schuldenbremse zu treten. „Die Folge wird sein, dass die Neuverschuldung kräftig steigt“, sagte der SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider. Nun räche sich, dass die Koalition ihr Sparpaket wegen der guten Konjunktur nur zur Hälfte umgesetzt habe. Seine Grünen-Kollegin Priska Hinz sagte, Schäuble bleibe nicht viel mehr übrig, als auf eine gute Konjunktur und niedrige Zinsen für die Bundesschuld zu hoffen.