Jena. Jeder zehnte Bundesbürger leitet unter sozialen Ängsten. Nun wollen Wissenschaftler der Uni Jena einen besonderen Weg gehen, um den Betroffenen Hilfe anzubieten: Im Computerspiel “Facing Faithless“ sollen geschulte Streetworker den Avatar des Spielers beraten und somit erste Berührungsängste nehmen.
Ein Jugendlicher sitzt niedergeschlagen am Strand. Doch die Entscheidung, wie es in seinem Leben weitergeht, liegt ganz in der Hand des Spielers am Bildschirm. Wird er die Probleme des Jungen lösen? Im wahren Leben würde sich der Spieler vermutlich für Rückzug entscheiden. Im Computerspiel "Facing faithless" soll die Geschichte aber anders ausgehen.
Studenten und Wissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben das preisgekrönte Werk für Menschen entworfen, die unter Sozialphobien leiden und bisher keine Therapiemöglichkeiten wahrnehmen. "Für Menschen, die Angst vor dem Zusammentreffen mit anderen Menschen haben, kann das Spiel eine erste Anlaufstelle sein", sagt der Sozialmanagementexperte Jörg Fischer. Der Bedarf an dieser virtuellen Hilfe ist nach Ansicht der Forscher groß: Jeder zehnte Bundesbürger leidet jüngsten Untersuchungen zufolge unter sozialen Ängsten.
Alltagsprobleme als Spielauftrag
Ratsuchende schlüpfen im Spiel in die Rolle eines Online-Charakters, der sich im Laufe des Spieles wie im echten Leben weiter entwickeln muss. Gemeinsam mit diesem Stellvertreter in der virtuellen Welt bearbeiten die Spieler Aufträge und lösen dabei Alltagsprobleme. Sie bringen Bilder, Videos und Texte ein, um ihrem Avatar - ihrem digitalen Ich - Leben einzuhauchen. "Facing Faithless" übersetzen die Wissenschaftler mit "dem Vertrauenslosen ein Gesicht geben".
Gemeint seien damit die Spieler, "die gerade in einer schwierigen Phase sind und das Vertrauen in sich und die Welt verloren haben", sagt der angehende Erziehungs- und Medienwissenschaftler Martin Preußentanz. Sie erarbeiteten sich im Spiel einen Charakter, der ständig bereichert werde. Eine der Spielsituationen ist beispielsweise der Auszug des Jugendlichen aus dem Elternhaus. Da sitzen die virtuellen Eltern auf dem Sofa und der Mensch am Bildschirm muss sich entscheiden, ob er ein eigenes Leben führen oder bei den Eltern wohnen bleiben will. "Erfahrene Community-Mitglieder, das sind speziell geschulte Mitspieler, werden ihn dabei unterstützen", sagt Preußentanz.
Kein Ersatz für klassische medizinische Behandlung
Außerdem stehen er und seine Kollegen als Online-Streetworker bereit. "Das Besondere an der Plattform ist, dass nicht der Nutzer selbst, sondern sein Avatar beraten wird", sagt Preußentanz. Damit soll der Druck vom Spieler genommen und mögliche Berührungsängste vermieden werden. "Wir wollen Menschen, die über ihr Leben nachdenken, spielerisch, einfach und kompetent Hilfestellung anbieten", sagt Fischer.
Das Spiel sei kein Ersatz für die klassische medizinische Behandlung. "Wir beraten, aber therapieren nicht." Eine klassische Onlineberatung hat das Team, das eng mit Wissenschaftlern aus den Bereichen der Sozialpädagogik, Phänomenologie, Informatik, Mathematik, Medien- und Kommunikationswissenschaft, Psychologie und Soziologie zusammenarbeitet, aber auch nicht im Sinn. "Wir wollen soziale Interaktion", sagt Preußentanz. Bei ihrer Plattform haben sich die Jenaer Wissenschaftler bei einer Vielzahl von Cyber-Angeboten bedient.
Von Browsergames übernahmen sie die einfache Bedienung und die Spielweise. Soziale Netzwerke dienten als Vorbild für die leichte Kontaktaufnahme und die Echtzeitkommunikation. Zu guter Letzt nutzen sie die kompetente und fachliche Hilfe von Onlineberatungen. Eine erste Online-Version ist für Mitte 2012 geplant. Gedacht ist das Spiel für professionelle Beratungseinrichtungen wie die Familienhilfe. Parallel dazu wird das Projekt an der Universität Jena wissenschaftlich ausgewertet. Einen ersten Erfolg konnten die Forscher bereits verbuchen: "Facing Faithless" wurde im Vorjahr Gewinner des Wettbewerbs "Was macht gesund?" des Bundesforschungsministeriums. (dapd)