Marseille/Washington. Jean-Claude Mas, Gründer der Firma PIP, deren Brustimplantate für Entzündungen bis hin zu Brustkrebs verantwortlich gemacht werden, hält das Produkt für nicht schädlich. Das teilte sein Anwalt mit. Mas räumte freilich ein, man habe gewusst, dass die Kissen “nicht vorschriftsgemäß“ waren.

Der Gründer der französischen Firma PIP, die wegen des Skandals um defekte Brustimplantate in den Schlagzeilen ist, macht aus der Verwendung von billigem Silikongel für seine Prothesen keinen Hehl: "PIP wusste, dass es nicht vorschriftsgemäß war, aber das Produkt war nicht schädlich", versichert Jean-Claude Mas über seinen Anwalt, über den der 72-Jährige seine Sicht der Dinge verbreiten lässt.

Zehntausende Frauen aber sollen sich weltweit die defekten Implantate wieder herausoperieren lassen, die für Entzündungen und von den Opfern sogar für Krebsfälle verantwortlich gemacht werden. In Deutschland wird die Zahl der Fälle auf mehrere tausend geschätzt.

Das Bild des hageren PIP-Firmengründers mit grauem Bart, Halbglatze und Brille war dieser Tag um die Welt gegangen: Interpol hatte einen Fahndungsaufruf gestartet - nicht aber wegen der defekten Silikon-Implantate, sondern wegen einer Trunkenheitsfahrt in Costa Rica. Denn der Rentner Mas lebt derzeit einigermaßen unbehelligt in Südfrankreich in seinem Haus in der Nähe von Toulon.

Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung

Zweimal musste Mas bisher bei den Ermittlern zu den Billig-Silikoneinlagen aussagen; Ende 2012 soll der Prozess wegen "schweren Betrugs" beginnen. Ermittlungen laufen auch wegen fahrlässiger Tötung. Der Staatsanwaltschaft in Marseille liegen die Beschwerden von mehr als 2000 Frauen vor; neun Krebsfälle gibt es, doch die Behörden sehen keinen Beweis, dass die PIP-Implantate krebsauslösend sind.

Firmengründer Mas "ist nicht auf der Flucht", versichert sein Anwalt Yves Haddad der Nachrichtenagentur AFP. "Er kann gar nicht laufen, weil er gerade operiert worden ist." Der 72-Jährige soll an einem Venenproblem leiden.

Im vergangenen Jahr war der alte Mann allerdings noch in Costa Rica unterwegs, wo er im Juni 2010 betrunken Auto fuhr. Danach war vermutet worden, Mas habe sich wegen des PIP-Skandals nach Mittelamerika abgesetzt.

Zwei verschiedene Gels

Mas bestreitet, dass das verwendete Silikon-Gel - die Einlagen sind seit 2010 verboten - giftig gewesen sei. PIP habe zwei verschiedene Gels verwendet, gibt der Anwalt zu. Ein medizinisches Gel, aber auch ein hausgemachtes Gel, das laut Staatsanwaltschaft zehnmal billiger war. Der Anwalt sagt, es sei fünfmal billiger gewesen. Die chemischen Merkmale seien aber dieselben gewesen.

Laut Presseberichten soll es sich indes um ein Industriegel gehandelt haben, wie es auch für Matratzen und Computer verwendet wird. Die Einlagen sollen laut Staatsanwaltschaft vermehrt Risse bekommen haben, mit der Folge von Entzündungen bei den betroffenen Frauen. Mas verteidigt sich über seinen Anwalt mit dem Hinweis: "Alle Silikongels weisen eine reizauslösende Wirkung auf." Im Übrigen sei das erhöhte Risiko für Risse in den Einlagen nicht nachgewiesen.

Das sah die US-amerikanische Behörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA) schon vor zehn Jahren anders. Sie verwies laut einem am Dienstag veröffentlichten Schreiben vom Juni 2000 auf "gepanschte" Einlagen, die damals noch mit Kochsalz gefüllt waren. Die FDA listete in ihrem Brief, der der Nachrichtenagentur AFP vorlag, eine Reihe von Problemen bei der Qualitätssicherung auf. Diese könnten auf generelle Schwierigkeiten bei der Produktion hindeuten, hieß es. Der Brief sei damals öffentlich zugänglich gewesen, sagte eine FDA-Sprecherin. Ob die französischen Behörden darüber informiert gewesen seien, könne sie aber nicht sagen. Die USA verboten daraufhin den Verkauf der Implantate. Der Anwalt von PIP-Gründer Jean-Claude Mas sagte der Nachrichtenagentur AFP, damals sei es um die Festigkeit der Hülle gegangen.

Vorwurf reiner Gewinnsucht

Dem PIP-Firmengründer wird von den betroffenen Frauen, aber auch von den Ermittlern und der Öffentlichkeit vorgeworfen, aus reiner Gewinnsucht das medizinische Silikon-Gel durch ein billigeres Produkt ersetzt zu haben. Der einstige Pharmareferent hatte sich bereits in den 70er Jahren dem Geschäft mit den Brust-Implantaten zugewandt, nachdem er einen Schönheitschirurgen aus Toulon kennengelernt hatte. 1991 gründete er seine eigene Firma PIP. Laut Anwalt Haddad hat Mas einen Uni-Abschluss in Naturwissenschaften. Berichte, wonach sein Klient früher Metzger oder Weinhändler gewesen sei, weist er entschieden zurück. Immerhin schaffte es Mas, dass seine Firma zeitweise der drittgrößte Produzent weltweit von Brustimplantaten war.

100.000 Silikoneinlagen jährlich stellte PIP her, bis sie im Jahr 2010 dicht machen musste. Die meisten gingen ins Ausland, nach Südamerika, Großbritannien, Spanien. Für Deutschland gibt es keine zuverlässige Zahl: Zwischen 7.500 und 16.000 Frauen sollen Presseberichten zufolge betroffen sein. Eine Sprecherin des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sagte am Mittwoch zu den kursierenden Zahlen, es gebe keinerlei Hochrechnungen und auch kein zentrales Register. Das Institut habe keine gesetzliche Handhabe, die Zahlen zu den in Deutschland eingesetzten PIP-Implantaten zusammenzutragen. Das Bundesgesundheitsministerium schloss nicht aus, dass ein Zentralregister Sinn machen könnte. Ein Sprecher sagte in Berlin, dass auch zu den Kosten einer Wiederentfernung von Implantaten erst noch eine konkrete Bewertung vorgenommen werden solle. Es gebe noch keine abschließenden Bewertungen.

Die meisten Implantate verkaufte die südfranzösische Firma PIP nach Südamerika, Spanien und Großbritannien. In Venezuela, wo Schönheitsoperationen besonders häufig sind, bot Gesundheitsministerin Eugenia Sader allen betroffenen Frauen an, die Kissen kostenlos entfernen zu lassen. Allerdings zahle der Staat keine neuen Implantate. (afp)