Bochum. . Das NRW-Umweltministerium rät mittlerweile ganz vom Rohkost-Verzehr ab. Spanische Gurken dürfen nach einem Beschluss des Ministeriums gar nicht mehr verkauft werden. Unterdessen wollen Landwirte das Robert-Koch-Institut verklagen.

Am Stand von Bert Schulze-Poll auf dem Bochumer Rathausmarkt ist in diesem Moment das heitere Gemüseraten eingetroffen: drei Erzieherinnen mit 20 Vier- bis Sechsjährigen aus dem Kindergarten Klinikstraße. Um das vorwegzunehmen: Jedes Kind erkennt Tomaten, keines Mangold, und die Rote Beete ruft ein Mädchen als „Rote Peete“ aus. Unbeantwortet aber bleibt die Frage, die Schulze-Poll kindgerecht auf eine kleine Tafel geschrieben hat: „Wer hat der Gurke auf den Kopf gekackt?“

Wie sollen Bochumer Kinder das wissen, Hamburger Hygieniker wissen es ja auch noch nicht wirklich. Fakt ist: Am Freitag ist die Zahl der Menschen, die infolge einer Ehec-Infektion gestorben sind, auf sechs gestiegen.

Landauf, landab auf den Märkten und in den Läden haben die meisten Verbraucher ihre Ehec-Konsequenzen gezogen, und sie sehen überall gleich aus: „Tomaten geht so, Gurken werden gar nicht gekauft, und die Salate liegen, wie sie liegen“, sagt ausgesprochen repräsentativ die Marktfrau Sabine Schäfer aus Düsseldorf. Auf Essener Wochenmärkten geht der Gemüseumsatz spürbar zurück. In einem Dortmunder Supermarkt liegen die Gurken gleich ganz unten, und sie sehen, wie soll man sagen, auch schon ganz krank aus. Ladenhüter. Da haben wir den Salat.

Neulich Dioxin, jetzt Ehec

„Man weiß ja gar nicht, was man noch essen soll“, sagen die Leute, oder „Es ist ja immer irgendwas“ oder auch: „Es war ja neulich noch Dioxin.“ Das denken sogar die Bauern, „die Gemütslage hat sich vom Gift in Eiern noch kaum erholt“, sagt Hans-Heinrich Berghorn, der Sprecher des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes. In manchen Köpfen ist der Erreger längst übergesprungen auf anderes Grünzeug im weitesten Sinne, sonst müsste zum Beispiel in dem Marktstand von Bäckers Hof aus Münster nicht folgendes Schild hängen: „Wichtige Information! Betrifft Ehec! . . . möchten wir Sie darüber informieren, dass unsere Erdbeer- und Spargelpflanzen . . . nicht mit Gülle oder Mist gedüngt werden.“ Wie jetzt, Erdbeeren und Spargel? „Ich hab’ den Chef gebeten, so ein Schild zu machen“, sagt die Verkäuferin, „ich war es leid, dass alle Leute fragten und ich mir den Mund fusselig reden durfte.“

Wenig los auf dem Markt, aber es ist natürlich auch November im Mai. Der Regen fällt. Der Wind bläst. Gerade kommt der gefühlt 200. Kunde an diesem Vormittag mit der originellen Frage: „Haben Sie spanische Killergurken?“ Und einer erinnert sich eines alten Films: „Angriff der Killertomaten“ – das war in den 70er-Jahren als Parodie gemeint auf Science-Fiction-Filme . . .

Dabei ist sehr real und sehr gegenwärtig, dass der NRW-Verbraucherminister zumindest die spanische Gurke am Freitag ächtet: Sie darf nicht mehr verkauft, verkocht, verzehrt werden, wenn sie nicht nachweislich sauber ist, also Ehec-frei. Überhaupt rät Johannes Remmel von aller Rohkost ab. Was bedeuten könnte: Schnitzel ohne Beilage, Salattasche ohne Salat. Die Gemüsebauern hören das nicht gern, ihr Hamburger Verband erwägt, das Robert-Koch-Institut zu verklagen, weil es vor dem Verzehr von Tomaten, Gurken und Salat warnt. „Verheerend“ nannte das Bauernverbands-Chef Sonnleitner.

Gemüse auf den Müll

Überall stornieren nun die Großabnehmer Bestellungen, Landwirte liefern ihre frische Ernte auf den Müll, Ein „Totalverlust“, meldet Bauern-Sprecher Berghorn: „Da werden einige sehr nervös.“ Immerhin ist das junge Gemüse ein Saison-Geschäft, das gerade anläuft und nun womöglich vor die Wand. Morgens noch beziffert die Erzeuger-Genossenschaft Langard den Verlust auf 15, nachmittags auf mindestens 25 Prozent.

„Eine Gurke habe ich schon verkauft, und das mit einem Schmunzeln vom Kunden“, sagt Ulrike Wältermann auf dem Markt in Bochum. Einerseits setzt sie auf Aufklärung: „98 Prozent der Ware kommt aus Gewächshäusern, da kommt keine Gülle dran.“ Manchmal bringt sie auch ein unschlagbares Argument: „Das essen meine Kinder auch.“ Und schlussendlich sieht sie den Salat-Alarm auch als Prüfung: „Jetzt zeigt es sich, ob man ein guter Markthändler ist oder nicht. Zwischen Händler und Kunde, das ist eine Vertrauensgeschichte.“

Lesen Sie dazu auch den Kommentar von Jan Jessen