Berlin/Essen. . Bei dem Ehec-Erreger, der sich zurzeit massiv in Deutschland ausbreitet, könnte es sich Experten zufolge um eine neue, aggressive Form des Bakteriums handeln. Drei Menschen sind an den Infektionen gestorben. Auch In NRW steigt die Zahl der Fälle.

Seit fast 30 Jahren erforscht Prof. Dr. Helge Karch den Ehec-Erreger - wie schnell und heftig sich das gefährliche Darmbakterium aber zurzeit ausbreitet, ist auch für den Direktor des Instituts für Hygiene am Universitätsklinikum Münster neu: "Eine solche Häufung schwerer Verläufe habe ich noch nicht erlebt, weder in Europa, noch in Nord- oder Südamerika", sagt er.

Deshalb vermutet der Experte, in dessen Institut der Erreger für das Robert-Koch-Institut (RKI) erforscht und analysiert wird, dass es sich bei dem zurzeit grassierenden Keim um eine "noch nicht aufgetretene und besonders aggressive Ehec-Variante" handeln könnte. "Hierfür sprechen vor allem die in dieser Form noch nicht beobachteten Darmschädigungen", sagt Karch.

Drei Todesopfer in Deutschland

Alle Ehec-Erreger produzierten Giftstoffe, die die Zellen in der inneren Wand von Blutgefäßen angreifen. Diese Giftstoffe alleine könnten aber die schweren Verläufe des jetzigen Ausbruchs nicht erklären, so Karch. Womöglich habe der aktuelle Erreger zusätzliche, besondere Zellgifte. 42 verschiedene Ehec-Typen seien in Deutschland bislang identifiziert und charakterisiert worden. Nun müsse geklärt werden, ob es sich bei dem aktuellen Erreger um einen neuen Typ handelt oder um einen bereits bekannten, der seine Eigenschaften verändert hat. Er sei zuversichtlich, dass dies in den nächsten Tagen gelinge.

Unterdesen hat die grassierende Ehec-Seuche bereits drei Menschen das Leben gekostet. Alle Opfer sind Frauen.

Eine 83-jährige Frau starb im niedersächsischen Landkreis Diepholz, teilte das Gesundheitsministerium am Dienstag in Hannover mit. Die Frau sei seit dem 15. Mai wegen eines blutigen Durchfalls stationär behandelt worden und bereits am vergangenem Samstag der Krankheit erlegen. Der gefährliche Ehec-Erreger sei bei ihr nachgewiesen worden.

RKI rechnet mit weiteren Todesfällen

In Bremen starb in der Nacht zu Dienstag eine junge Patientin, sie hatte zuvor die typischen Symptome einer Ehec-Infektion, wie die Bremer Gesundheitsbehörde mitteilte. Der Ehec-Erreger sei allerdings labordiagnostisch noch nicht nachgewiesen.

Auch im schleswig-holsteinischen Landkreis Stormarn gab es ein Todesopfer. Eine Frau, die mit dem Erreger infiziert war, erlag bereits am Sonntag ihrer Krankheit, wie das Gesundheitsministerium in Kiel am Dienstag mitteilte. Ob die Ehec-Infektion Todesursache war, stand den Angaben zufolge nicht fest. Die Frau war über 80 Jahre alt und starb in einem Krankenhaus, in dem sie wegen einer Operation war.

Es sei mit weiteren Todesfällen zu rechnen, sagte Reinhard Burger, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) auf einer Pressekonferenz am Nachmittag. 80 schwere Ehec-Infektionen seien bislang bundesweit gemeldet. Sonst nähmen im ganzen Jahr 50 oder 60 Fälle einen schweren Verlauf, erklärte Burger weiter. "Es ist ein stärkeres Auftreten als wir es sonst haben," sagte er. Und: "Im Moment ist nicht erkennbar, dass das nachlässt." Bei vielen Patienten verläuft die Krankheit schwer, sie liegen auf der Intensivstation, einige schweben in Lebensgefahr.

24 Fälle in NRW

Die Ehec-Seuche breitet sich unterdessen in NRW weiter aus. In Essen wurde am Dienstag ein erster Fall bekannt. Der Erkrankte wird am Uniklinikum in Essen behandelt. Wie erst am Dienstag bekannt wurde, war der Patient bereits in der vergangenen Woche eingeliefert worden. Zurzeit wird er mit Blutaustausch und Dialyse behandelt, wann er das Krankenhaus verlassen kann ist unklar. Nicht geklärt ist zudem, wo sich der Mann angesteckt hat.

Auch eine Frau aus Bochum muss wegen einer Ehec-Infektion zurzeit in einem Krankenhaus in Herne behandelt werden. Dies bestätigte am Dienstagnachmittag ein Sprecher der Stadt Bochum.

In NRW steigt damit die Zahl der Fälle weiter. Wie das Gesundheitsministerium NRW am Dienstagmittag mitteilte, haben sich 24 Menschen mit dem Ehec-Erreger infiziert, drei sind schwer erkrankt. Darüber hinaus gibt es neun Verdachtsfälle. Bis Montagabend waren in NRW offiziell 15 Ehec-Fälle und sieben Verdachtsfälle bekannt. Neben Essen haben sich unter anderem Menschen in Münster, Meschede und Paderborn mit dem Erreger angesteckt. Allein im Uniklinikum Münster werden zurzeit fünf Patienten wegen der schweren HUS-Ausprägung ("Hämolytisch-Urämisches Syndrom") der Infektion behandelt. Diese ist durch Blutarmut und Nierenversagen gekennzeichnet.

Auch im Norden Deutschlands nimmt der Erkrankten weiter rasant zu. Schleswig-Holstein meldete am Dienstag mehr als 200 Fälle, am Montag waren es in dem nördlichen Bundesland noch 90 gewesen.

Nicht bei allen gemeldeten Fällen handelt es sich um die schweren, lebensbedrohlichen Infektionen: "Jetzt wird jeder starke Durchfall als Ehec-Verdachtsfall klassifiziert", sagte RKI-Chef Reinhard Burger.

Ein erster Anhaltspunkt auf der Suche nach der Infektionsquelle kommt aus Frankfurt. Dort wurden am Dienstag zwölf Patienten im Krankenhaus behandelt, die offenbar in derselben Kantine einer Unternehmensberatung gegessen hatten. Es gebe die Vermutung, dass der Erreger durch einen Gemüselieferanten aus Norddeutschland verbreitet worden sei, sagte ein Sprecher des Frankfurter Gesundheitsamts. Die Kantine des Unternehmens sei weiterhin geschlossen.

Ärzte suchen nach Ursachen

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Von DerWesten

Das Umweltministerium NRW vermutet, dass verunreinigte Gülle Lebensmittel durch Düngen verseucht haben könnte. Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt hatte bereits am Montag vermutet, dass ein verunreinigtes Lebensmittel - wahrscheinlich rohes Gemüse - die Fälle ausgelöst haben könnte. Das Robert-Koch-Institut gibt sich bei der Gülle-These dagegen zurückhaltend. "Das ist Spekulation, sagte RKI-Präsident Reinhard Burger am Dienstagnachmittag. „Das kann auch durch Wasser passieren“, erklärte eine Sprecherin mit Verweis auf das Bundesinstitut für Risikobewertung. Auch der Bauernverband ist skeptisch: Gemüse mit Gülle zu düngen sei "eigentlich kein gängiges Verfahren", sagte ein Sprecher des Verbandes. Gemüseanbaubetriebe seien in der Regel spezialisiert und betrieben keine Tierhaltung. Deshalb verfügten die wenigsten Gemüsebauern überhaupt über Gülle, die als Düngemittel eingesetzt werden könnte.

Infektionsquelle möglicherweise weiter aktiv

Derzeit liefen die Befragungen der Patienten weiter, um einen gemeinsamen Risikofaktor herauszufinden, so das RKI. Ein "großes Team" von Experten sei nach Hamburg geschickt worden, weil es dort die meisten Fälle gegeben hatte, erklärte RKI-Chef Burger. "Dort ist die Chance am größten, dass man etwas herausfindet." Auch an der Typisierung des Erregers arbeiten die Experten noch. Aber: "Die Infektionsquelle ist weiter unklar", so Burger. "Es kann sein, dass sie weiter aktiv ist."

Der Ehec-Erreger gehört zum Stamm der Colibakterien und kann schweren Durchfall verursachen. Bei Komplikationen kann er zu akutem Nierenversagen, Blutarmut und zum Tod führen. Ehec steht für Enterohaemorrhagische Escherichia coli.

Wie man erkennt, ob man mit Ehec infiziert ist, und wie man sich schützen kann, lesen Sie hier.

Wie Kantinen und Caterer in NRW auf die aktuelle Situation reagieren, lesen Sie hier. (jgr/shu/dapd)