Essen. . Bei vielen jungen Schlaganfall-Patienten haben Mediziner mehr als zwei Risikofaktoren festgestellt: Gefäßerkrankungen, Infektionen oder Herzfehler.

Die Patientin hat halbseitige Lähmungserscheinungen, auch im Gesicht, sie kann plötzlich nicht mehr sprechen. Wäre sie 80 Jahre alt, würde jeder Arzt sofort an einen Schlaganfall denken. Aber sie ist gerade mal vier. Einen Schlaganfall hat sie trotzdem. Aussagekräftige Daten gibt es kaum, Mediziner aber schätzen, dass in Deutschland etwa 300 bis 500 Kinder pro Jahr einen Schlaganfall erleiden. Viele davon werden nicht oder spät erkannt.

Was passiert beim Schlaganfall?

Bei einem Schlaganfall kommt es im Gehirn zum Verschluss eines Blutgefäßes. „Das kann man sich etwa so vorstellen wie ein Rohr, das plötzlich verstopft ist“, sagt Prof. Ulrike Schara, leitende Ärztin im Bereich Neuropädiatrie am Uniklinikum Essen und Präsidentin der Gesellschaft für Neuropädiatrie. „Das dahinter liegende Gewebe kann nicht mehr mit Blut, also auch nicht mit Sauerstoff versorgt werden und stirbt nach kurzer Zeit ab.“ Insofern ist ein Schlaganfall für Kinder genauso gefährlich wie für Erwachsene. Er kann auch zum Tod führen.

Welche Ursachen gibt es?

Verschiedene Faktoren können den Schlaganfall im Kindesalter auslösen. Bei über 50 Prozent der Patienten seien mindestens zwei Risikofaktoren feststellbar, schreiben die Kinderneurologen Lucia Gerstl und Florian Heinen von der Ludwig-Maximilians-Universität in München in einem Fachaufsatz. Häufig sind entzündliche Gefäßerkrankungen verantwortlich, die zu einem starken Anschwellen des betroffenen Gefäßes führen.

Hilfe und Informationen im Netz

Um Daten zum Schlaganfall bei Kindern besser bündeln zu können, die Aufmerksamkeit zu erhöhen und die Versorgung junger Patienten zu verbessern, haben Mediziner um das Team von Florian Heinen und Lucia Gerstl mit der Gesellschaft für Kinderneurologie das interdisziplinäre „Netzwerk Pediatric Stroke“ gegründet.

Infos: www.schlaganfall-kinder.de und www.schlaganfall-hilfe.de/kindlicher-schlaganfall.

Auch Infektionen, zum Beispiel Hirnhautentzündungen, können einen Schlaganfall begünstigen. Als weitere Risikofaktoren sehen Experten Störungen der Blutgerinnung, angeborene Herzfehler oder herzchirurgische Eingriffe, seltener Schädel-Hirn-Traumata durch Unfälle, Stoffwechselkrankheiten oder Medikamente.

Welche Symptome treten auf?

Da der Blutfluss abrupt gebremst wird, setzen manche Körperfunktionen plötzlich aus. So tritt typischerweise eine halbseitige Lähmung, teilweise mit Beteiligung des Gesichtsnervs, auf. „Betroffene knicken zum Beispiel beim Gehen auf einmal seitlich ein“, sagt Ulrike Schara. Oft ist die Arterie betroffen, die das Sprachzentrum mit Blut versorgt, so dass die Sprache „verwaschen“ klingt oder aussetzt. Doppelbilder seien ebenfalls häufig, ebenso Schwindel und Störungen der Bewegungskoordination, manchmal auch Krampfanfälle. Begleitend kann es zu Erbrechen und Bewusstseinsstörungen kommen.

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Die Symptome treten von einem auf den anderen Moment auf. Nur selten gibt es Vorboten wie starke Kopfschmerzen. Lösen entzündliche Veränderungen den Schlaganfall aus, kann es weitere, weniger auffällige Symptome geben. Zu den zeitlich versetzt auftretenden kleineren Schlaganfallattacken, die es bei älteren Patienten gibt, komme es bei Kindern nur in Ausnahmefällen.

Was können Eltern tun?

In der Akutsituation muss sofort ein Notarzt gerufen werden. „Meist ist das Herz-Kreislauf-System stabil, aber es gibt neurologische Ausfälle“, sagt Ulrike Schara. Deshalb könnten Eltern darüber hinaus wenig tun, außer dafür zu sorgen, dass das Kind stabil liegt und sich nicht verletzen kann.

Wie erfolgt die Diagnose?

Anders als bei Erwachsenen denken sowohl Angehörige als auch Ärzte nicht sofort an die Möglichkeit eines Schlaganfalls. „Was man bisher nicht kennt, erkennt man in der Regel auch nicht optimal“, sagt Ulrike Schara. „Deshalb müssen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Schlaganfälle bei Kindern und Jugendlichen durchaus vorkommen. Auch Notärzte müssen geschult werden.“

Denn noch fehlt es an diagnostischen Automatismen für junge Schlaganfallpatienten. Dabei ist in einem solchen Notfall die Zeit der größte Feind der Mediziner: Je länger das Gewebe unterversorgt ist, desto schlimmer sind die Folgeschäden. Differenzialdiagnostisch abzugrenzen ist der Schlaganfall vor allem von Migräne, Multipler Sklerose, Entzündungen des Zentralnervensystems und epileptischen Anfällen mit anschließenden Lähmungserscheinungen.

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Wer einmal einen Schlaganfall erleidet, ist vor weiteren nicht gefeit – daher gilt es, im Rahmen der Diagnostik mögliche Grunderkrankungen und weitere Risikofaktoren so gut wie möglich zu behandeln.

Wie läuft die Therapie ab?

Je nachdem, welche Gehirnregion betroffen ist, können verschiedene, mehr oder weniger gut behandelbare Schäden hervorgerufen werden. Bei Erwachsenen können in einem Zeitfenster von bis zu sechs Stunden nach dem Schlaganfall die sogenannte „Lyse-Therapie“ oder andere moderne Behandlungsverfahren zum Einsatz kommen. Bei der Lyse-Therapie werden die Thromben, die das Gefäß verstopfen, medikamentös gelöst.

Ob das Zeitfenster bei Kindern größer oder kleiner ist – dazu gibt es noch keine aussagekräftigen Daten. „Therapeutisch kann man sich derzeit nur zum Teil an die Möglichkeiten für Erwachsene anlehnen“, sagt Ulrike Schara, „optimal ist das nicht“. Einen Vorteil haben die kleinen Patienten jedoch: Es gibt die Chance, dass sie die Gewebe-Zerstörung kompensieren und verlorene Funktionen zurückgewinnen können. Dennoch haben viele unter dauerhaften kognitiven und körperlichen Einbußen zu leiden.