Neuenrade.

„Verfolglich war die Stadt in dasigen Zeiten und vor der Erfindung des Geschützes und Pulvers eine ziemliche Vestung“, zitiert der Historiker und Archivar Ferdinand Schmidt für ein Buch einen Augenzeugenbericht aus dem frühen 18. Jahrhundert. Auch der aktuelle Archivar, Rolf Dieter Kohl, sieht Neuenrade in der Zeit des Mittelalters als beeindruckende Festung.

Zwar seien die Stadtmauern nicht breit genug für einen Wehrgang entlang der Zinnen gewesen, dennoch könnte sich Dr. Kohl vorstellen, dass die Neuenrader von einem Erdwall auf der Stadtseite aus, die Mauer im Falle eines Angriffs hätten verteidigen können. Rolf Dieter Kohl vermutet, dass die Stadtmauer bereits während der Gründungszeit 1353/1355 errichtet wurde. Neuenrade sei schließlich als Festungsstadt gegen die Grafschaft Arnsberg, später Kurköln, geplant und errichtet worden.

Bau nur durch militärische Sicherungsmaßnahmen möglich

Er wundere sich nur, dass die Grafen aus Arnsberg das mehrjährige Bauvorhaben nicht mit einem Angriff während der anfälligen Bauphase unterbrochen haben.

Professor Dr. Dieter Stievermann vermutet in seinem Buch zur Stadtgeschichte, dass der Bau nur durch „besondere militärisches Sicherungsmaßnahmen“ möglich gewesen ist. So könnten die Grafen von der Mark Ritter und Krieger zusammengezogen haben, um den Bau zu schützen. Bis zur Fertigstellung der Stadtmauer könnten zudem palisadenverstärkte Wälle aus dem Aushub der Stadtgräben als provisorische Verteidigungsanlagen gedient haben, so Stievermann.

Straßennamen erinnern an alte Mauer

Die spätere Stadtmauer wurde an zwei Stellen von der Ersten Straße durchbrochen. Stadttore mit Zugbrücken sicherten die Zugänge in die Stadt. In seinem Untersuchungsbericht zu den Ausgrabungen an der ehemaligen Stadtburg schätzte der Ausgrabungsleiter Dr. Sven Spiong die Höhe der Mauer auf vier Meter und deren Breite auf 70 bis 80 Zentimeter. Gegen Mittelalterliche Belagerungstechniken war Neuenrade mit seiner Stadtmauer gerüstet. Gegen die im 15. Jahrhundert aufkommenden Bombarden war eine solche Mauer jedoch aus Sicht der Historiker unwirksam. Da die Stadtmauern nicht durch moderne flachere Wallanlagen ersetzt worden sind, geht Spiong davon aus, dass Neuenrade bereits während des 15. Jahrhunderts seine Bedeutung als Grenzfestung eingebüßt hatte.

Dennoch wurden die Mauern, zumindest in Teilen, bis ins 18. Jahrhundert instand gehalten. Das geht aus Kämmereirechnungen bis 1750 hervor. 1775 berichtet aber der Magistrat: „Der Orth ist offen und es sind auch keine Mittel vorhanden, eine Mauer anzulegen...“ Heute erinnert eine rekonstruierte Mauer aus Steinresten an der Straße Am Zollhaus an die ehemalige Stadtmauer. Ebenso weisen Straßennamen wie, Am Wall, Am Stadtgraben und Hinterm Wall auf den Verlauf der Stadtmauer hin.