Schalksmühle/Hagen.

Mit einer von seinen Anwälten vorgetragenen Erklärung überraschte gestern der heute 20-jährige Bruder der Ermordeten Iptehal A. das Publikum im Schwurgerichtssaal des Landgerichts: „Ich habe ganz große Schuld auf mich geladen. Wenn ich mehr Mut gehabt hätte, dann könnte meine Schwester noch leben“, zog der Angeklagte ein Resümee seiner Beteiligung an der Tötung der 20-Jährigen.

Gleichzeitig bestritt er aber, die tödlichen Schüsse auf dem Rastplatz Sterbecker Siepen selber abgegeben zu haben: „Dann hörte ich zwei, drei Schüsse. Da wusste ich, dass mein Onkel meine Schwester erschossen hatte.“

Zuvor hatte der junge Mann geschildert, dass sich sein Vater das Leben seiner Kinder ganz anders vorgestellt hatte. Mit seinem Tod habe er sich – 16-jährig – zunehmend für den Lebenswandel seiner 20-jährigen Schwester verantwortlich gefühlt: „Ich hatte nicht verstanden, dass meine Schwester alles Recht hatte, das Leben zu führen, das sie wollte. Ich konnte das damals nicht verstehen.“

Stattdessen schlug der Bruder zu: „Ohrfeigen mit der flachen Hand oder mit dem Handrücken“, gestand er zu. Von Aggressionen seiner Mutter und seiner Schwestern gegenüber Iptehal habe er hingegen erst vor Gericht erfahren: „Die wollten die Streitereien nicht.“

Zwei Wochen vor Iptehals Tod sei sein Onkel aus Finnland plötzlich in Deutschland aufgetaucht: „Er wollte sich mit mir treffen, und ich war sehr verwundert.“ Der Hauptangeklagte des Prozesses habe gewusst, dass Iptehal bei seinem Eintreffen nicht bei ihrer Familie lebte: „Er hat so getan, als ob ich für das Verhalten meiner Familie verantwortlich bin.“

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Nach mehreren Gesprächen über Ehre, Schande und das angemessene Verhalten von Töchtern und Schwestern habe ihm der Onkel dann seinen Plan unterbreitet: „Er sagte, dass ich die Geschichte in die Hand nehmen müsse, dass ich meine Schwester töten müsse.“ Das aber habe er zurückgewiesen, behauptete der Angeklagte: „Ich konnte meine Schwester nicht töten. Ich liebte sie doch auch.“ Der Onkel habe Verständnis dafür gehabt und sich bereit erklärt, „es selber zu machen“. Der bereits verurteilte Cousin des Opfers sei zunächst nur als Fahrer ins Spiel gekommen. Er selbst habe seine Schwester dann durch einen Anruf ins Auto gelockt, erklärte der 20-Jährige.

Auf dem Rastplatz Sterbecker Siepen hätten Onkel und Cousin Iptehal aus dem Auto gezogen, worauf sie offenbar den Ernst der Lage begriff: „Meine Schwester schrie so, wie ich noch nie einen Menschen habe schreien hören.“ Bis heute höre er diesen Schrei und finde keine Ruhe, versicherte der junge Mann. „Ich habe seitdem keine ruhige Minute mehr.“

Eine Konsequenz aus der zunehmenden Klärung der Ereignisse vor und während der Mordnacht hat inzwischen auch das Gericht gezogen: Der „deutsche“ Onkel der Getöteten und ihre Mutter wurden aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Vermutung ihrer direkten Beteiligung an den Mordplänen wurde nicht durch Zeugenaussagen erhärtet.

Der Prozess wird heute ab 9.30 Uhr im Hagener Landgericht fortgesetzt.