Atlantic City. Präsident Obama kümmert sich in New Jersey erstmals um Opfer der Sturm-Katastrophe. Dem republikanischen Gouverneur, der ihn eingeladen hat, wird das in den eigenen Reihen übel genommen. Ist Chris Christie aber egal.
Natürlich, in ein paar Tagen ist Wahl in Amerika, wer wüsste das hier nicht in Atlantic City, dem „Miami der kleinen Leute“, die sich New Jersey schon in guten Zeiten schön reden müssen. An diesem Mittwochnachmittag ist die nicht nur wegen der abgetakelten Spielcasinos trübe Zockergegend von oben betrachtet noch eine Spur trister.
Der wie eine riesige Fußmatte vor New York liegende Bundesstaat hat es abgekriegt wie kein zweiter, als Hurrikan „Sandy“ sich am Montag an der Küste vergriff, dem als Naherholungsziel berühmten „Jersey Shore“. 2,5 Millionen Menschen insgesamt sind hier immer noch ohne Strom. Hunderte Häuser an der Wasserkante hat das Unwetter zerbeult und vergraben, als wäre es unnützes Spielzeug in einem Kindersandkasten. Tausende müssen in Notunterkünften und Motels schlafen.
Barack Obama schaut stumm hinunter, als sein Fremdenführer ihm aus dem Hubschrauber Marine One das Ausmaß des Desasters zeigt. Seaside Heights. Point Pleasant Beach. Beach Haven. Ship Bootom. So heißen die kleinen Käffer in Strandnähe, die Obama im Vorbeifliegen inspiziert. Später am Boden in Brigantine, wo es kein bisschen besser aussieht, wird der Präsident sagen, dass die Katastrophe eine der schlimmsten in Geschichte Amerikas sei. Und Chris Christie, der Gouverneur von New Jersey, den Fernsehpublikum seit Montag nur verschwitzt im Fleece-Pullover kennt, wird nicken. Barack und Chris, das ist das zurzeit spannendste Duo in der US-Politik. Der 140 Kilo schwere Republikaner hätte mit links werden können, was jetzt Mitt Romney ist: Obamas Herausforderer. Er schlug die ihm auf dem Silbertablett servierte Präsidentschaftskandidatur jedoch im Januar aus, fühlte sich (Jahrgang 1962) noch zu jung für „ganz oben“. Seither zog er über den weniger als die Hälfte wiegenden Obama her, wie es nur Typen aus New Jersey können. Typen wie Bruce Springsteen, der nebenan in Asbury Park groß geworden ist. Typen wie James Gandolfini, der den Mafia-Boss Tony Soprano in der gleichnamigen Serie spielt. Obama muss weg. Obama kann es nicht. Obama ist das Letzte. So klangen Christies Standard-Pauken. Bis „Sandy“ kam.
Seither ist der Dicke des Dünnen größter Fan. „Einfach großartig“, „wunderbar“, „außerordentlich“ sei das Krisen-Management des Präsidenten, sagt Christie. Auch auf Fernsehkanälen, die genau darauf achten, dass bei ihnen ja niemand eingeladen wird, der Obama loben will. Christies offenherzige Parteinahme für den gestern in Khakis und schwarzer Windjacke steckenden Commander-in-Chief so kurz vor dem Wahltag hat Mitt Romney als „Tritt in die Magengrube“ empfunden, sagt sein Beraterstab. Ging es nicht eine Nummer kleiner? „War doch klar, dass Romney sich nicht vom aggressiven Wahlkämpfer über Nacht in den obersten Krisenmanager verwandeln kann.“ Schließlich hat Obama die acht Milliarden Dollar schwere staatliche Katastrophenschutz-Truppe Fema an der präsidialen Hand, deren Wirken in New Jersey wie zwölf weiteren betroffenen Bundesstaaten mehr als erwünscht ist. „Romney hat nur gute Wünsche“. Wie schwer sich der Multi-Millionär damit tut, die Naturkatastrophe mit Empathie anzusprechen, zeigte seine Visite gestern in Florida. Wer „einen Dollar oder zwei“ über habe, sagte Romney bei seinem ersten Auftritt nach 48 Stunden Wahlkampf-Abstinenz in Tampa, der möge sie doch bitteschön spenden. Ein, zwei Dollar? Es klang „geschäftsmäßig“, twitterte ein Korrespondent aus Boston, „irgendwie lustlos“. Obama ganz das Gegenteil. Morgens telefoniert er mit Dr. Kimberley Glassmann, der Ober-Kinderkrankenschwester im New Yorker Langone-Hospital, wo es mitten im Sturm brenzlig wurde, als der Strom ausfiel.
Bloomberg eröffnet die Börse
Obama bedankte sich für das Engagement des Personals bei der Evakuierung und prophezeite, dass es schon bald in New York wieder aufwärts gehen werde. Sieht danach aus. Das Startsignal gab Bürgermeister Michael Bloomberg, als er die Eröffnungsglocke in der Börse läutete. Zwei Tage lang war das finanzielle Herz der Stadt in künstlichen Schlaf versetzt worden. Jetzt schlägt es wieder im normalen Takt. Weil der Betrieb am John-F.-Kennedy-Flughafen auch wieder eingesetzt hat, in Manhattan erste Busse fuhren, die zum Teil unter Wasser stehende U-Bahn soll in den kommenden Tagen eingeschränkt folgen, sah sich Gouverneur Andrew Cuomo zu vorsichtigem Optimismus berechtigt: „Wir kommen wieder, langsam aber sicher.“
Sandy: Szenen der Verwüstung
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Chris Christie kann sich da nicht so sicher sein. Die Selbstheilungskräfte seines von Schulden geplagten Bundesstaates sind mickrig. „Achselhöhle Amerikas“ wird New Jersey genannt. Frisches Finanz-Deo von der Zentralregierung, die Republikaner sonst notorisch als verfettet und bürgerfern charakterisieren, ist bitter nötig. Im Beach Community Center von Brigantine, einer Notunterkunft für 200 Menschen, präsentierten sich Obama und Christie im Gespräch mit obdachlos gewordenen Anwohnern wie Brüder im Geiste. „Er macht für euch Überstunden“, sagte Obama. „Es ist enorm wichtig, dass der Präsident hier ist“, gab Christie zurück. Dass Wahlkampf ist, interessiere ihn nicht. Bilder einer Überparteilichkeit, die sich viele Amerikaner wünschen. Außer Mitt Romney. Am 6. November wird gewählt.
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