Essen. . Wer lebenslänglich hinter Gittern sitzt, weiß heute: In den nächsten zehn Jahren setzt er keinen Fuß vor die Gefängnismauer. Zehn Bundesländer wollen diese harte Zeit ohne Hoffnung verkürzen. Im Gespräch ist die Halbierung der Wartezeit. Eine gemeinsame Linie gibt es nicht.

Hans-Jürgen Rösner ­ge­hört zu den Gefängnisin­sas­sen, die den Hafturlaub zur Flucht genutzt haben. Das ist 1986. Zwei Jahre später wird er einer der Geiselgangster von Gladbeck sein.

Thomas Wolf, ein Bankräuber und Erpresser, hat Menschen entführt. Schon dreimal ist ihm die Flucht gelungen, als ihm die Justizvollzugsanstalt Moers zum Millenium den befristeten Freigang erlaubt. Erst neun Jahre und viele schwere Straftaten später kommt er in Handschellen zurück.

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Die Geschichte des Strafvollzugs ist voll von solchen Erzählungen. In Brandenburg sind seit Herbst 2011 fünf Freigänger geflohen. Dennoch: Das schreckt den Potsdamer Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke) und neun weitere Kollegen in den Ländern nicht ab, die Urlaubsregeln für Schwerstraftäter zu lockern.

Klares Nein aus NRW

250 Seiten lang ist ihr ­ge­meinsamer Entwurf zu den Lockerungen. Ein zu lebenslang verurteilter Straf­täter, steht da, „kann einen Langzeitausgang erhalten, wenn er sich fünf Jahre im Vollzug befunden hat“. Wobei Langzeitausgang heißt: bis zu 21 Tage Urlaub, teils unter Aufsicht. Bisher musste er mindestens zehn Jahre gesessen haben.

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich im letzten Herbst in dieser wichtigen ­Frage der inneren Sicherheit eine Spaltung in der Konferenz der Justizminister der Länder aufgetan. Bemerkenswert daran ist: Der Vorgang hat absolut nichts mit der politischen Farbenlehre zu tun.

Nein zur gelockerten Ur­laubsregelung sagt das rot-grüne Nordrhein-Westfalen – und steht in einer Front mit den schwarz geführten Landesregierungen von Bayern, Hessen und Niedersachsen. „Das ist schlicht aus Sicherheitsgründen so“, rechtfertigt ein Sprecher des NRW-Justizressorts in Düsseldorf die Ablehnung. „Für uns gilt: erstens die Sicherheit der Bevöl­kerung. Zweitens der Opferschutz. Drittens die Resozia­lisierung.“ Und eben genau in dieser Reihenfolge.

Mindestens zwei Stunden Besuch im Monat

Dagegen haben sich alle ­ostdeutschen Länder mit Bremen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Schleswig-Holstein zusammengetan. Sie ­ha­ben einen gemeinsamen Kurs beschlossen mit der knappen Überschrift, dass „Straftäter nicht vollständig von der Außenwelt isoliert werden dürfen“.

Gestützt fühlen sie sich vom Bundesverfassungsgericht. Das hat in seinen Ur­teilen eine „bis an die Grenzen gehende Resozialisierungsanstrengung“ verlangt, sagt ein Experte – auch für jene, die zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt werden.

Die Urlaubssache ist in diesem Zehn-Länder-Entwurf für ein neues Strafvollzugsgesetz also nur ein Punkt von mehreren: „Dem Bedürfnis der Gefangenen nach sozialen Kontakten, insbesondere zur ­Fa­milie, wird durch eine Verdoppelung der Mindestbesuchsdauer auf zwei Stunden monatlich Rechnung getragen“. Auch: „Der offene und der geschlossene Vollzug sind als gleichrangige Unterbringungsformen vorgesehen.“

Souveräne Länder

Rainer Wendt, der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, drückt den Unmut über die Pläne so aus: „Die haben nicht alle Tassen im Schrank.“ Tatsächlich aber sind die Bundesländer souverän, jedes für sich die Regeln festzulegen. Seit der Föderalismusreform gilt: Der Bund hält sich raus. Geschützt können sich NRW-Bürger also trotz des Nein ih­rer Regierung nicht fühlen. Wer aus der Haft flieht, schert sich nicht an Landesgrenzen. Rösner, der Gladbecker Geiselgangster, tat das auch nicht.

Lesen Sie hier, wie die Regeln für Hafturlaube heute aussehen: Maximal 21 Tage Hafturlaub im Jahr