Erfurt. . Der Papst auf Deutschland-Reise. Auch aus Nordrhein-Westfalen haben sich einige Pilger auf den Weg zu den Papstgottesdiensten in Thüringen gemacht – darunter eine 22-köpfige Gruppe der St. Cyriakus-Gemeinde aus Bottrop.

Irgendwo da hinten, jenseits dieser vielköpfigen Menge, irgendwo da muss es sein. Da kommt er. Aus der Ferne weht Applaus herüber, Kameras werden in die Höhe gereckt, Operngläser und Feldstecher hervorgekramt. Zum Glück gibt es die beiden Großbildschirme, da ist es schon zu sehen. Das Papamobil in Nahaufnahme.

Vom Domberg her hat das Glockenkonzert eingesetzt. Gebimmel zunächst, dann ein sonorer, hallender Bronzeton. Die „Gloriosa“ hat zu läuten begonnen, die größte freischwingende mittelalterliche Glocke der Welt. Plötzlich eine aufgeregte Frauenstimme: „Da ist er, da ist er!“

„Viva il papa!“

Tatsächlich, in gut zwanzig Metern Entfernung ist ein Blick zu erhaschen auf das Dach des Gefährts mit dem amtlichen Kennzeichen SCV-1, das sich durch die von dicht gedrängten Menschen gesäumte Gasse schiebt, ein Sekundenblick auf den Rücken des Mannes in Weiß. „Viva il papa!“, ruft einer, der sich offenbar auf den Petersplatz versetzt fühlt.

Es ist der Höhepunkt der Papst-Visite in Thüringen, die Messe mit 30.000 Pilgern auf dem Erfurter Domplatz. Sie stehen hier seit dem frühen Morgen, manche schon fast drei Stunden lang. Sie haben an den Sperren in der Innenstadt ihre Taschen öffnen, Glasflaschen, alles, was als Wurfgeschoss taugt, abgeben, sich dann auf dem Platz von nervösen jungen Ordnern herumkommandieren lassen müssen.

Sie haben Klappstühle und Hocker mitgebracht, Decken aufs Pflaster gebreitet, sie schwenken bunte Tücher und Fähnchen. Eine Nonne aus Osnabrück grüßt den Papst auf einem Transparent. Eine Ehepaar, gebürtige Thüringer, ist aus dem Kanton Zürich angereist, hier und da sieht man ein bayerisches Rautenbanner über den Köpfen flattern.

Pilger aus Bottrop angereist

Auch aus Nordrhein-Westfalen hatten sich einige Pilger auf den Weg zu den Papstgottesdiensten in Thüringen gemacht – darunter eine 22-köpfige Gruppe der St. Cyriakus-Gemeinde aus Bottrop. „Wir waren gestern schon bei der Marienandacht in Etzelsbach“, sagt Gruppenleiter Johannes Bombeck, während am Samstagvormittag auf dem Erfurter Domplatz die Messe beginnt. Im Vergleich zu den anderen Stationen der Papstreise in Berlin und Freiburg sei Thüringen einfach das nahegelegenste gewesen, so Bombeck. „Etzelsbach war eine tolle Sache“, berichtet er, „vor allem wegen der guten Stimmung“.

Immerhin 90.000 Gläubige, deutlich mehr als zuvor von der Kirche erwartet, hatten sich am späten Freitagnachmittag auf den Weg zu der kleinen Wallfahrtskapelle im tiefkatholischen Eichsfeld gemacht, um dort auf der grünen Wiese mit dem Papst eine Marienandacht zu feiern. Die ungewöhnliche Lage des Gottesdienstortes brachte indes auch für die Bottroper einige Mühen mit sich. „Wir mussten ganz schön lange laufen – und anschließend waren wir erst um halb 12 in der Nacht wieder in Erfurt im Hotel“, erzählt der Katholik aus Bottrop.

Viel Nachtruhe blieb den Papstpilgern aus dem Ruhrgebiet nicht. Am Samstag mussten alle Gottesdienstbesucher schon zwischen 5 und 7 Uhr am Dom sein, danach wurde der Platz abgeriegelt. Immerhin haben die Bottroper einen Platz mit guter Sicht auf Altarbereich und Dom ergattert. Und auch wenn er nicht mit allem, was der Papst sagt, einverstanden ist, ist Bombeck von der Pilgertour nach Thüringen begeistert. „Das Wichtige ist, dass wir hier alle ein großes Fest unseres Glaubens feiern.“

Vergangene Frömmigkeit

Die Sonne scheint und lässt das goldene Vortragekreuz blitzen, hinter dem die Prozession der Kleriker die Stufen zum Papstaltar emporsteigt. Die goldene Ferula, den Hirtenstab des Papstes, das goldbeschlagene Evangeliar, Kelche und Brokatgewänder. Aus den Lautsprechern braust der Klang der Domorgel. Posaunen schmettern. Der ganze imposante Prunk, zu dem der Katholizismus fähig ist, entfaltet sich an diesem Morgen in einer Stadt, von deren vergangener Frömmigkeit die Unzahl mittelalterlicher Kirchen, in Stein gehauener Kreuzigungsgruppen und Madonnen zeugt, heute aber nicht viel übrigbleibt.

Nur noch ein Viertel der Erfurter Bürgerschaft gehört einer christlichen Konfession an. Weil die Lebenden nicht mehr kommen, hat man eine der alten Kirchen zur Hälfte in ein Kolumbarium umgewidmet, eine Urnen-Beisetzungsstätte. Hier in Thüringen, überhaupt im ganzen Osten Deutschlands, lebten evangelische wie katholische Christen in der Diaspora, der „Zerstreuung“, hat am Vortag der Ratsvorsitzende der Protestanten Nikolaus Schneider dem Papst gesagt.

Beifall trotz Verbot

Dieser kommt in seiner Predigt darauf zu sprechen: „Hier in Thüringen und in der DDR habt ihr eine braune und eine rote Diktatur ertragen müssen, die für den Glauben wie saurer Regen wirkten“, sagt er den auf dem Domplatz Versammelten. Die Folgen seien noch immer aufzuarbeiten. Die friedliche Revolution von 1989 sei nicht nur aus dem Verlangen nach Wohlstand und Reisefreiheit, sonder auch nach „Wahrhaftigkeit“ entstanden.

Mit dem Untergang der DDR hätten die Menschen ihre Würde wiedergewonnen und die Möglichkeit zu neuen Erfahrungen über Grenzen hinweg. Doch der „Wurzelgrund des Glauben“ müsse tiefer reichen als gesellschaftliche Freiheit, mahnt der Papst. Und er dankt: Den „entschiedenen Katholiken“, die der kommunistischen Ideologie widerstanden, den Eltern, die „mitten in der Diaspora und in einem kirchenfeindlichen Umfeld ihre Kinder im christlichen Glauben erzogen“ hätten.

Eigentlich ist den Pilgern verboten worden, während der Messe Beifall zu klatschen. Nach dieser Predigt tun sie es doch.