Essen. . Im Juli 2010 raste Peter T. ungebremst mit seinem Lkw in ein Stauende auf der A31. Drei Menschen kamen ums Leben. Beim Prozessauftakt in Essen ließ er seinen Anwalt sprechen.
Die Angehörigen der Opfer stellen sich dem Verfahren. Sie hören zu, wie die Zeugen immer und immer wieder den tödlichen Unfall auf der A 31 bei Dorsten schildern. Sie hören, wie der schwere Lkw fast ungebremst ins Stauende knallte. Doch der Lkw-Fahrer verweigert sich ihnen. Vor dem Landgericht Essen schweigt Peter T. (48), lässt nur seinen Anwalt reden.
Angeklagt ist der Kerpener wegen fahrlässiger Tötung in drei Fällen und sechsfacher fahrlässiger Körperverletzung. Er ist eigentlich Disponent, fährt nur gelegentlich den MAN seiner Firma. Doch am 2. Juli 2010, einem sonnigen Tag, 34 Grad ist es warm, fährt er erstmals den neuen DAF-Lkw. Nach dem Unfall erzählt er der Polizei, er habe die Technik des Wagens nicht beherrscht und den Tempomat nicht ausgeschaltet bekommen. Irrtümlich will er aufs Gaspedal getreten haben, nicht auf die Bremse.
Staatsanwalt sieht Schuld beim Fahrer
Drei Männer aus Viersen, im VW Golf auf dem Heimweg von der Arbeit, traf sein schwerer Lkw. Sie standen auf dem rechten Fahrstreifen und hatten keine Chance. Ihr Wagen verkeilte sich unter der Fahrerkabine des Lkw, wurde mit ihm über die linke Fahrspur vor die Mittelleitplanke geschleudert. Andrej W. (37), Mustafa E. (30) und Cemil Ö. (24) starben in dem zusammengeschobenen und ausgebrannten Wrack. „Es war eine Überlebenszeit im Sekundenbereich“, antwortet Rechtsmediziner Matthias Schubries auf die Frage eines Anwaltes der Nebenkläger. Zahlreiche andere Fahrzeuge hatte der Lkw touchiert, als er über die Fahrbahn schleuderte. „Auf einmal stand er quer vor mir“, erinnert sich eine Zeugin.
Staatsanwalt Joachim Lichtinghagen sieht die Schuld klar beim Lkw-Fahrer: „Bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Angeschuldigte die Tötung der drei Personen und die Körperverletzungen verhindern können.“
So klar hört es sich in der Erklärung des Verteidigers nicht an. Natürlich habe sich sein Mandant vor Antritt der Fahrt mit dem neuen Lkw erst einmal mit dem Fahrzeug vertraut gemacht. Auf der A 31 habe er den Tempomat eingeschaltet. Als er das Stauende bemerkte, habe er zunächst versucht, den Tempomat auszuschalten. Das habe er nicht geschafft und in der Stresssituation aufs Gaspedal getreten. Als er schließlich doch die Bremse traf, sei der Unfall nicht mehr zu vermeiden gewesen, erklärt Verteidiger Gundo Golla. Damit will der Mandant schon Schuld auf sich nehmen, denn anfangs hatte der Anwalt festgestellt: „Der Mandant räumt Fahr- beziehungsweise Bedienungsfehler ein.“
Angehörige tragen Bildchen des Verstorbenen
Etwas unglücklich formulierte Golla die einleitenden Worte der Erklärung. Darin hieß es, dass der Angeklagte gegenüber den Angehörigen „sein Bedauern zum Ausdruck bringt“. Falls gewünscht, sei der eigentlich schweigende Mandant auch zu einer „persönlichen Entschuldigung“ bereit. Ob es den Angehörigen hilft?
Die 30 Jahre alte Ehefrau von Mustafa E. und ihre Verwandten und Freunde haben sich ein Bild des Toten ans Revers geheftet. Stumm verschaffen sie ihm emotionale Präsenz in einem Gerichtssaal, in dem sachlich die Fakten ermittelt werden. Auch die Angehörigen von Andrej W. lassen diesen nicht in Vergessenheit geraten. Ein gerahmtes Bild mit Trauerflor auf den Zuhörersitzen erinnert an ihn.
Erst am Ende des Prozesstages bittet Richter Andreas Labentz, auf solche Zeichen zu verzichten. „Ich bitte, sie nicht zu Demonstrationszwecken zu verwenden.“ Ruhig, doch innerlich tief getroffen, hatten sie den Prozess verfolgt. Hatten registriert, wie der Angeklagte äußerlich ungerührt wirkt. Und trotz richterlicher Warnung hörten sie zu, wie Rechtsmediziner Schubries die Details des schrecklichen Sterbens schildert.
Beim Bericht der Augenzeugen blitzt später bei wohl jedem im Saal ein Bild des Unfalls auf: Wie wehrlos, wie ohnmächtig die Opfer waren. Ein 48-Jähriger aus Bottrop hatte sein Auto an der Auffahrt „Schermbeck“ auf die Beschleunigungsspur in Richtung Bottrop gelenkt. Er sah das Stauende auf der Autobahn sofort, reduzierte seine Geschwindigkeit. Und er sah den Lkw, der an ihm vorbeirauschte. Er sah ihm hinterher. „Warum bremst der nicht?, dachte ich“, erzählt er, „und ich habe es in Gedanken mehrfach wiederholt: Warum bremst der nicht?“