Essen./Dorsten. .

Als Staatsanwalt Joachim Lichtinghagen seine Anklage vorliest und da­rin schildert, wie die drei Menschen in ihrem Auto verbrannten, schluckt der Angeklagte, schaut zu Boden. Natürlich wird auch er die Horrorszene vor Augen ha­ben, als er mit seinem Lkw ins Stauende auf der A 31 an der Auffahrt „Schermbeck“ rauschte. Aber er wirkt am ersten Prozesstag äußerlich ungerührt.

Auch die Angehörigen der drei Menschen, die auf dem Heimweg von der Arbeit in ihrem Autowrack verbrannten, bewahren die Fassung. Schwer genug wird es ihnen fallen. Mit Fotos im Saal erinnern sie an die Toten: Andrej W. (37), Mustafa E. (30) und Cemil Ö. (24), alle aus Viersen.

Der Angeklagte, eigentlich Disponent in seiner Firma und nur gelegentlich Lkw-Fahrer, lässt seinen Verteidiger eine Erklärung vorlesen, selbst schweigt er zum Vorwurf der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung. In der Erklärung räumt er Bedienungsfehler bei der ersten Fahrt in einem neuen Lkw ein. Er habe es nicht geschafft, den Tempomat auszuschalten, habe Gas- und Bremspedal verwechselt und sei deshalb fast ungebremst in das Stauende gefahren.

Zahlreiche Autos hatte der Lkw touchiert und über die Fahrbahn geschoben. „Wie Tennisbälle flogen sie über die Straße“, erinnert sich ein Augenzeuge an den 2. Juli vergangenen Jahres.

Andreas Labentz, Vorsitzender der II. Essener Strafkammer, hat am Dienstag zum Prozessauftakt viele Zeugen geladen, um den Unfall aufzuklären. Es sind Aussagen, die betroffen machen. Sie zeigen, wie ohnmächtig Menschen am Ende eines Staus dem tonnenschweren Gewicht eines unkontrolliert fahrenden Lkw ausgesetzt sind. Und sie zeigen, dass Menschen sich helfen.

Etwa ein 33-Jähriger, Vertreter aus Duisburg. Er hatte den Stau in Fahrtrichtung Bottrop früh gesehen und sein Auto abgebremst: „Ich stand. Da bekam ich einen Stoß von hinten und wurde nach vorne geschleudert und wieder zurück.“ Benommen saß er in seinem Auto, als das Feuer ausbrach: „In dem Moment ist alles passiert.“ Er rennt zu dem Fahrzeug hinter seinem, ein Cabrio. Drinnen eine bewusstlose Frau: „Sie war korpulent, ich konnte sie nicht alleine herausbekommen.“ Als er um Hilfe rief, kamen drei, vier Leute und halfen ihm.

Oder eine 35-Jährige: „Ich bekam mehrere Anstöße, habe die Augen zugemacht.“ Ob sie Verletzungen erlitt, fragt der Richter. Hat sie, aber davon will sie nicht reden: „Ich habe ganz großes Glück gehabt.“

Ein 43-Jähriger Maschinenbauingenieur aus Meppen hilft dem Gericht nicht weiter: „Ich habe Gedächtnisausfall. Von vor dem Stau bis ins Krankenhaus, wo ich aufwachte.“

Ein 48-jähriger Bottroper sah den Stau frühzeitig und bemerkte den Lkw. „Warum bremst der nicht, dachte ich.“ Immer wieder habe er diesen Gedanken gehabt, bis der Lkw auf den VW Golf der Viersener prallte.

Immer wieder hören die Angehörigen der Toten sich diese Schilderungen der Überlebenden an. Zufall, Schicksal war es, wer bei diesem Unfall starb und wer dem Tod knapp entkam. Eine Frau, die in ihrem Wrack eingeklemmt und von Helfern mit ihrem zweijährigen Sohn gerettet wurde, versucht in einer Verhandlungspause, den Angehörigen ihr Mitgefühl auszudrücken. Eine schwierige Begegnung. Es fehlen auf beiden Seiten die Worte.