Duisburg. .

In winzigen Schritten versucht der Duisburger Oberbürgermeister Sauerland nach der Loveparade-Tragödie in die Normalität seines Amts zurückzukehren. Er will dabei sein, aber nicht im Mittelpunkt stehen - Beobachtungen.

Der Weg zurück in die Öffentlichkeit ist hundert Meter lang. Die Zufahrt zum Hallenbad in Neudorf ist abgepollert, Adolf Sauerlands Fahrer muss den Dienstmercedes auf den benachbarten Parkplatz chauffieren. Die Stadt wird langsam wach. Es nieselt an diesem frühen Samstagmorgen, der glänzende Tropfenfilm überzieht Sauerlands dunkelblauen Anzug und das dünne Haupthaar. Er ist blass. Eine blaue Mappe hält er in der Hand, darin ein Blatt mit Informationen, mit Stichworten. Duisburgs Oberbürgermeister will die Unterwasserrugby-Jugendmeisterschaft er­öffnen. Es soll ein weiterer, winziger Schritt zurück sein in das, was er als Normalität empfindet. Es soll weitergehen für ihn, zweieinhalb Monate nach der Katastrophe bei der Loveparade. Irgendwie.

„Schön, dass Sie da sind, Herr Oberbürgermeister.” Ein Vereinsverantwortlicher schüttelt Sauerland kurz die Hand und läuft weiter. Jungs mit Sporttaschen bahnen sich ihren Weg in die Umkleide, aus dem Bad hallen die ersten Rufe herüber. Wohin jetzt? Sauerland entscheidet sich für die Cafeteria. Die ist voll. „Wir sind noch nicht so weit, hier ist Schiedsrichter- und Teambesprechung”, bekommt er am Eingang zu hören. Ein freundlich formulierter Rauswurf.

Sauerland geht zurück in den Vorraum. Das Schwarze Brett scheint ihm Halt zu geben. Aufmerksam studiert er die Zettelflut mit Schwimmkursen, Öffnungszeiten und zwei kopierten Zeitungsartikeln über das Bad. Er saugt sich fest, als wolle er die Texte auswendig lernen. Oberbürgermeister stehen nicht gerne einfach so herum. Die meisten kennen das Gefühl auch nicht.

Schwerer Sturz vom Roller

Sauerland dreht sich um. Junge Burschen in Badehosen wieseln vorbei. Sieben, acht Minuten sind vergangen, in der Cafeteria wird weiter über die Spielpläne diskutiert. Sein Fahrer ist mittlerweile eingetroffen und fixiert sein Handy. Sauerland macht zwei Schritte vor und einen zurück. Noch einmal ans Schwarze Brett? Zwei Frauen erlösen ihn. Was denn die Schulter mache, will die eine wissen. Sauerland hat einen Sturz vom Motorroller mit einem Schlüsselbeinbruch bezahlt, der seine schüchternen Comebackversuche für zehn Tage unterbrach.

Der OB mag Roller-Fahren: (Foto: Geinowski WAZFotoPool)
Der OB mag Roller-Fahren: (Foto: Geinowski WAZFotoPool) © WAZ FotoPool

Seit Freitag ist er wieder im Dienst und leitet Sitzungen. Am heutigen Dienstag fliegt er zur Immobilienmesse Expo Real nach München. „Der Terminkalender ist dicht ge­drängt. Zahlreiche potenzielle Investoren haben Adolf Sauerland um ein Gespräch gebeten“, hat sein persönlicher Referent Josip Sosic überdeutlich versichert. Als müsse er der Frage vorbeugen, ob Duisburgs Image nicht so sehr gelitten hat, dass die Zahl der Gesprächspartner an einer Hand abzuzählen sind.

Vom Bundespräsidenten geschnitten?

Zumindest da, wo die Öffentlichkeit genau hinsieht, ist vom Oberbürgermeister, der auf die Menschen zugeht, nicht viel zu sehen. Er will dabei sein, aber bitte nicht im Mittelpunkt stehen. Ob der Bundespräsident ihn beim Empfang im Landschaftspark Nord nun absichtlich schnitt, was sein Stab bestreitet, oder ob Sauerland sich gar nicht erst in seine Nähe traute, wissen vielleicht nur die beiden.

Zur Eröffnung der Wackerbarth-Ausstellung im Lehmbruck-Museum am Freitagabend kam Sauerland auch. Er blieb im Hintergrund. Kann ein Oberbürgermeister sich mit Nebenrollen begnügen? Ist das der selbe Mann, der an Karneval einmal eine Ratssitzung mit Turban und Kaftan geleitet hat? Der auf dutzenden Fotos breit grinsend mit Fanschals des MSV herumwedelt? Volksnähe war stets sein Motto, aber wie nahe kann er dem Volk noch kommen? Hat sich der Zorn abgeschwächt? Sauerland will es prüfen.

Allgegemwärtig in Duisburg: Sauerland-Gegner. (Foto: Fröhlich/ WAZ FotoPool)
Allgegemwärtig in Duisburg: Sauerland-Gegner. (Foto: Fröhlich/ WAZ FotoPool) © WAZ FotoPool

Er muss es prüfen, denn nachdem seine politischen Gegner mit ihren Versuchen, ihn abwählen zu lassen, gescheitert sind, sitzt er, sofern das seine Kraft zulässt, wo­möglich noch bis 2014 im Rathaus. Vier Jahre für ihn und für seine CDU, die in Duisburg nicht gerade machtverwöhnt ist und die Zeit nutzen will. Wie das funktionieren soll, wenn selbst der Planungsdezernent Jürgen Dressler ihn offen angreift und die desolate Lage der Verwaltung kritisiert, weiß vermutlich nicht einmal Sauerland selbst. Er denkt von Tag zu Tag.

Auf Socken ins Schwimmbad

Der Tag der offenen Tür im Rathaus am Sonntag immerhin, er wird nicht zum Fiasko für Adolf Sauerland. Eine Handvoll Protestler mit „Duisburg schämt sich für seinen OB”-T-Shirts stehen vor dem Gebäude, aber es bleibt ruhig. Säle, Emporen und Besprechungszimmer sind für Rundgänge geöffnet.

Der Gescholtene hält keine Ansprache, nimmt Einzelne dafür mit in einen Nebenraum, um mit ihnen zu sprechen. Er will seine Rückkehr ins städtische Leben dosieren. „Ich möchte, dass endlich Ruhe in die Stadt einzieht”, sagt er dem WDR, als könne er das anordnen. In der Hoffnung, die Zeit werde die Wunden irgendwie heilen. In der Hoffnung, dass die Duisburger ihm seine fürchterlichen Auftritte in den Tagen nach dem Drama verzeihen mögen. „Man muss ihm helfen”, hat Duisburgs Alt-Oberbürgermeister Krings ge­sagt. Es war die freundlichste Rücktrittsforderung.

Der türkischen Zeitung „Hürriyet” vertraute Sauerland unlängst in einem Interview an, dass er beim Fastenbrechen mit Muslimen „Zu­flucht und Trost” gefunden hätte. Ein Bekenntnis, das jene in ihrer Einschätzung stärkt, die behaupten, dass Sauerland sich wie in Trance bewege.

Ins Neudorfer Schwimmbad darf er an diesem Samstagmorgen schließlich rein. Über eine Viertelstunde hat man ihn schmoren lassen, aber will sich ein Mann in seiner Lage beschweren? Sauerland zieht die Schuhe aus und geht mit seinem kleinen Manuskript in die Hallenmitte. Es ist warm, er streift das Sakko ab, seine Schultermanschette kommt zum Vorschein. Er spricht eine runde Minute, begrüßt die Jugendlichen und vergisst nicht zu erwähnen, dass er früher mal, „als der Bauch noch kleiner war”, bei den Freien Schwimmern in Walsum Wasserball gespielt hat. Der Applaus für den 60-Sekunden-Auftritt ist freundlich, und Sauerland darf auch noch die deutsche Hymne mitsingen. Er schnürt die Schuhe und geht zum Ausgang.

Wenigstens hat es aufgehört, zu regnen.