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Die NRW-Landesregierung blockiert den Ausbau der Autobahn A 1 vom Ruhrgebiet in die Feriengebiete der norddeutschen Küste. Sie wird den Plan, die Zahl der Fahrspuren ab Münster auf sechs zu erweitern, nicht weiterverfolgen, erfuhr die WAZ-Mediengruppe.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung blockiert den Ausbau der Autobahn A 1 vom Ruhrgebiet in die Feriengebiete der norddeutschen Küste. Sie wird den Plan, die Zahl der Fahrspuren zwischen Münster und der Landesgrenze bei Lotte/Osnabrück auf sechs zu erweitern, nicht weiterverfolgen, sagte NRW-Verkehrsstaatssekretär Horst Becker (Grüne) der WAZ Mediengruppe.
Hintergrund ist ein Streit um die Privatfinanzierung der Strecke. Der Bund will das rund 100 Kilometer lange Teilstück der „Hansa-Linie“ für 30 Jahre an ein Baukonsortium zu vergeben, das für Ausbau, Unterhalt und Betrieb zuständig ist und dafür einen Großteil der dort erwirtschafteten Lkw-Maut erhält. Die Ausschreibung für diese „öffentlich-private Partnerschaft“ (PPP) ist bis 2012 geplant.
„Wir zweifeln den Sinn des sechsspurigen Ausbaus im Prinzip nicht an. Aber wir wollen den Ausbau nach diesem System nicht“, sagt Becker. NRW befürchte, dass der Staat dabei massiv an Einfluss verliere und die Mauteinnahmen zu Lasten der nächsten Generation an die Baukonzerne verpfände. Das Land werde als Auftragsbehörde des Bundes für den A 1-Abschnitt Münster bis zur Landesgrenze nach Niedersachsen nicht aktiv werden, kündigte Becker an. Zwar könne „der Bund uns anweisen“. Aber so etwas sei noch nie vorgekommen.
Nordrhein-Westfalens Vorbehalte gehen über die wirtschaftlich-politischen Bedenken hinaus. Sie haben auch damit zu tun, wie auf einem anderen inzwischen privatisiert betriebenen Teilstück der A 1 im Norden Deutschlands zwischen Bremen und Hamburg die Erweiterungs-Baustelle gehandhabt wird.
Eine der ersten Autobahnen, die in „privat-öffentlicher Partnerschaft“ betrieben werden
Zwischen den Anschlusstellen Bremer Kreuz und Buchholzer Dreieck - es ist eine der ersten Fernstraßen Deutschlands, die in „privat-öffentlicher Partnerschaft“ (PPP) mit Baukonzernen als Bauherrn erweitert und betrieben werden – besteht mit 72 Kilometern Länge eine der größten Autobahnbaustelle der Republik. Es ist auch eine der tödlichsten.
Seit Start des sechsspurigen Ausbaus 2009 gab es hier 18 Tote bei 3000 Unfällen. Regelmäßig schweißt die Feuerwehr schwerverletzte Lkw-Fahrer aus den Cockpits. Ihre Fahrerkabinen sind nach Auffahrunfällen zur dünnen Platte gepresst. Regelmäßig verloren, vor allem in der Startphase, Pkw auch die Außenspiegel. Bei den riskanten Überholvorgängen wurden sie einfach abgesägt.
Liegt die Ursache darin, dass Privat anders baut als der Staat? Schneller machen es die Konzerne schon, das ist ein Vorteil.14 der 26 Teilstrecken sind fertig, obwohl vor gut einem Jahr die neue Deckschicht auf gut acht Kilometer vier Zentimeter tief zerbröselte. Man baut aber auch kompakter und enger. Und deshalb ist für Michael Schreckenberg, Verkehrsexperte und Professor der Universität Duisburg, das Fahren zwischen Bremen nach Hamburg einfach „gefährlich“, auch wenn die Unfallhäufigkeit in letzter Zeit etwas abnimmt.
„Die Baustelle wird nach ökonomischen Gesichtspunkten geführt“, sagt er, „die linke Spur ist nicht breit genug. Zwei Meter Spurbreite sind nicht mit normalen Fahrzeugen zu befahren“. Der Fahrbahnbelag sei zudem „so schlecht, dass Sie ihr Fahrzeug kaum halten können.“ Schreckenberg graut davor, wenn in dieser Urlaubssaison wieder Wohnwagen über die Piste rollen – in einer Baustelle, die, mit wenigen „Erholstrecken“ dazwischen, insgesamt viel zu lang sei: „Menschen sind nach so vielen Kilometern mit Stau ermüdet.“
Die Bundesregierung hat alle Unterlagen zur Geheimsache erklärt
Auch Anton Hofreiter befällt „eine Wuat“ beim Thema. Seine bohrenden Fragen zur A 1 bleiben meist ohne Antwort. Der Münchner ist nicht irgendwer. Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag redet mit, wenn es um große Verkehrsprojekte geht. Doch es gibt Projekte, bei denen der Grünen-Politiker nicht reden darf, nicht einmal mit seinen Parlamentskollegen. Zu diesen Milliarden-Vorhaben gehört ausgerechnet dieser Fernstraßenabschnitt. Die Bundesregierung hat alle Unterlagen zur Geheimsache erklärt.
Das passiert mit Rücksicht auf die an dem PPP-Projekt beteiligten Privatfirmen, die vor der Neugier der Konkurrenz geschützt werden wollen. Das Konsortium mit alleine einem 42,5-Prozent-Anteil durch den Konzern Bilfinger und Berger hat die Strecke für 30 Jahre vom Bund übernommen, erweitert sie innerhalb von vier Jahren, hält sie in Stand und gibt sie dann an den Staat zurück. Der zahlt den Firmen dafür einen Anteil der Einnahmen aus der Lkw-Maut – Experten mutmaßen: 90 Prozent. Was dazu führt, dass die Betreiber Lkw gerne auf der Piste halten und nicht, wie anderswo vor Baustellen, mit Orange-Pfeilen umleiten.
„Wie groß ist der Maut-Anteil wirklich? Welche Vorteile haben die Steuerzahler?“ Hofreiter bombardiert die Bundesregierung mit solchen parlamentarischen Anfragen. Aber nicht nur die beteiligten Firmen geben sich wortkarg, auch das Verkehrsministerium. „Der Skandal ist, dass sie nicht mal offen sagen, wie die tatsächliche Wirtschaftlichkeitsberechnung aussieht.“ Er durfte – unter Aufsicht, damit er nichts aufschreibt – in der Geheimschutzstelle des Bundestags hineingucken. „So dünn“ sei das Papier gewesen, sagt er. Dann hält er Daumen und Zeigefinger keinen Zentimeter weit auseinander. Zum Inhalt schweigt er. Es würde ihm andernfalls Haft drohen.
Das Verfahren könnte brisant werden
Hofreiter empfindet die verordnete Sprachlosigkeit als unverschämt – gegenüber sich, der Volksvertretung, der Öffentlichkeit. Er sieht das Informationsfreiheits-Gesetz verletzt. Jetzt ist ihm der Geduldsfaden gerissen. Er klagt, formell als betroffener Staatsbürger, gegen die Bundesrepublik vor dem Verwaltungsgericht auf Aktenherausgabe.
Das Verfahren könnte brisant werden. Es geht nicht nur um die Unfall-Toten der A 1 oder die Vor- und Nachteile für die Steuerzahler, die das PPP-Verfahren bietet und die schon der Bundesrechnungshof bezweifelt hat. Vom Ausgang hängt auch ab, in wie weit überhaupt privaten Konzernen staatliche Straßen auf Zeit zum Betrieb übereignet werden können.
Dennoch: Berlin plant, mindestens sieben Autobahnen nach dem „A-Modell“ privatisiert auszubauen, darunter die A 30 zwischen Rheine und Lotte und in Hessen auch ein Stück der Sauerland-Linie A 45. Das spart dem Staat derzeit Geld, das er für den Ausbau der Verkehrsnetzes nicht hat. Weiterer Vorteil: Die Ausbau-Milliarden fallen nicht unter die Schuldenbremse, die dem Bund ab 2016 Zügel anlegt. Nur, so sagt es Hofreiter: Die Mauteinnahmen würden dann eben der Staatskasse späterer Generationen fehlen. Deren Entscheidungsspielraum schränke man drastisch ein. „Wir verpfänden die Straßen.“