Brüssel. In ihrem jährlichen Fortschrittsbericht hält die EU-Kommission der Türkei einige Reformen zugute. Doch die Beitritts-Verhandlungen kommen nur schleppend voran. Zuletzt hatte Deutschland den Prozess nach der massiven Polizeigewalt gegen Demonstranten in der Türkei ausgebremst.

Die EU-Kommission dringt darauf, den Beitrittsprozess mit der Türkei voranzutreiben. Erweiterungskommissar Stefan Füle forderte die EU-Staaten am Mittwoch in Brüssel auf, wie im Sommer versprochen in den Verhandlungen mit der Regierung in Ankara das nächste Kapitel zu eröffnen. Die Türkei habe im vergangenen Jahr eine Reihe von "positiven Schritten" unternommen, heißt es im jährlichen Fortschrittsbericht der EU-Kommission. Dazu zählten eine Justizreform und die Aufnahme von Friedensverhandlungen mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).

Die EU-Staaten hatten im Juni die Eröffnung des Verhandlungskapitels 22 zur Regionalpolitik zwar bereits im Grundsatz zugesagt, den formellen Schritt aber auf den Herbst verschoben. Dies geschah besonders auf Drängen Deutschlands als Reaktion auf die international heftig kritisierte Polizeigewalt gegen landesweite Proteste von Regierungsgegnern. Zunächst solle der nächste Kommissionsbericht über den Fortgang der Reformen in der Türkei abgewartet werden, hieß es im Juni.

Die Entscheidung über die Eröffnung des neuen Themenfelds könnte nun bei einem Treffen der EU-Außen- und Europaminister am kommenden Dienstag fallen. Dem offiziellen Startschuss für den Beginn der Verhandlungen über das Kapitel 22 kurze Zeit später stünde dann nichts mehr im Wege. Die Türkei führt bereits seit Oktober 2005 Beitrittsgespräche mit der EU, die Verhandlungen kommen jedoch kaum voran.

Nur ein Verhandlungskapitel ist geschlossen

Von den insgesamt 35 Verhandlungskapiteln wurde bislang allein das Kapitel Wissenschaft und Forschung vorläufig abgeschlossen. Nur ein Dutzend weitere Kapitel wurden seit Beginn der Gespräche eröffnet. Stimmen die EU-Staaten nun dafür, das Themenfeld zur Regionalpolitik in Angriff zu nehmen, wäre dies das erste Mal seit drei Jahren, dass ein neues Kapitel eröffnet wird.

Doch der EU-Kommission geht das nicht weit genug: Füle fordert, auch die Gespräche über die Kapitel 23 zu Grundrechten und 24 zur Justizpolitik anzugehen. Mit Blick auf die massiven Proteste gegen die Regierung, die sich im Frühsommer wegen eines Bauprojekts im Istanbuler Gezi-Park entzündet hatten, kritisiert die EU-Kommission die polarisierte Stimmung im Land und mangelnden Respekt für Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Umso wichtiger sei es daher, die Gespräche zu diesen Punkten einzuleiten.

Die EU-Kommission bewertet jährlich die Fortschritte zu den EU-Anwärtern. Zu den Beitrittskandidaten zählen außer der Türkei auch Serbien, Mazedonien, Montenegro sowie Island. Die europakritische Regierung des nahe des nördlichen Polarkreises gelegenen Inselstaats hat die Gespräche mit der EU jedoch von sich aus auf Eis gelegt.

Mögliche Kandidaten für einen EU-Beitritt sind Bosnien-Herzegowina, Albanien und Kosovo. Füle schlägt nun vor, Albanien den Kandidatenstatus zu verleihen. Die Voraussetzung sei aber, dass die Regierung in Tirana weiter gegen Korruption und organisierte Kriminalität vorgehe. (afp)