Heidelberg. Werde ich steinalt oder womöglich mit 40 Jahren an Krebs sterben? Mit einer Analyse der Gene lassen sich heute Risiken für einen Menschen aufzeigen. Die Frage ist: Wie geht man mit dem neuen Wissen um? Heidelberger Wissenschaftler wollen es dem Patienten freistellen, wieviel er wissen will.
Es ist ein medizinischer Schatz, der aber auch Probleme mit sich bringt: Forscher können inzwischen das Erbgut eines Menschen komplett "auseinandernehmen" und analysieren. Die Medizin schwärmt von den Möglichkeiten, die das für die Therapie von Krankheiten bringen kann.
So gibt es bereits Ansätze für effektivere Krebsbehandlungen. Auf der anderen Seite legt dieses Verfahren jede Menge Informationen über einen Menschen offen. Wie geht man damit um? Mit den Folgen der Sequenzierung des kompletten Genoms haben sich zwei Jahre lang Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen in Heidelberg beschäftigt. Jetzt haben sie Richtlinien vorgeschlagen. Ihr Kodex reicht bis hin zu Formularen. Auf ihnen könnten Patienten ankreuzen, was sie wissen wollen und was nicht.
Richtig mit Erkenntnissen umgehen
Theoretisch kann eine komplette Erbgut-Analyse Erkenntnisse über tausende genetische Krankheiten bringen. Ein zentrales Thema sind die sogenannten Zusatzbefunde. Ein Beispiel: Ein Patient lässt sein Genom analysieren, um mögliche Ansätze im Kampf gegen seine Krebserkrankung zu bekommen. Bei der Analyse kommt aber heraus, dass in dem Patienten noch eine ganz andere, womöglich sogar tödliche Krankheit schlummert. Wie geht man mit diesen Erkenntnissen um?
Der Heidelberger Vorschlag: Der Patient kann vorab entscheiden, ob er von solchen Krankheiten wissen will oder nicht. Die Heidelberger Wissenschaftler differenzieren aber noch weiter: Genauso kann der Patient entscheiden, ob er speziell von Krankheiten erfahren will, für die es noch keine Therapie gibt. Oder, ob er auch das nicht wissen will.
Neben dem Datenschutz ist ein anderes wichtiges Thema die Frage, wie man Patienten im Vorfeld ausreichend über eine solche Gen-Analyse aufklären kann - schließlich ist die Fülle möglicher Erkenntnisse gewaltig. Hier schlagen die Wissenschaftler vor, für Patienten Beispiele herauszugreifen, also einzelne Krankheiten wie etwa Brustkrebs oder Herzschwäche.
In einer rechtlichen Grauzone
Auch der Deutsche Ethikrat und andere wissenschaftliche Institutionen haben sich bereits mit den Chancen und Gefahren der genetischen Diagnostik beschäftigt. Die Heidelberger Stellungnahme sei bisher aber die "konkreteste in Deutschland", sagt der beteiligte Dekan der Medizinischen Fakultät Heidelberg, Claus Bartram.
Denn vieles spielt sich derzeit in diesem Bereich noch in einer rechtlichen Grauzone ab. Zwar gibt es in Deutschland ein Gendiagnostikgesetz, das aber den speziellen Fragestellungen der Totalsequenzierung nach Ansicht der Wissenschaftler nicht gerecht wird. Der ebenfalls an der Heidelberger Stellungnahme beteiligte Jurist und frühere Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof äußert aber Zweifel, ob derzeit angesichts der rasenden medizinischen Entwicklung eine Reform sinnvoll sei, oder ob man nicht besser noch warten solle. Er spricht von einem "Recht im Werden".
Eine ganz konkrete Forderung an den Gesetzgeber haben die Wissenschaftler dann aber doch: das ärztliche Schweigerecht. So könne ein Arzt, der von Ermittlern etwa auf der Suche nach einem Vergewaltiger gefragt werde, ob sein Patient als Täter infrage komme, sich auf sein Schweigerecht berufen, erläutert Kirchhof. Für Wissenschaftler anderer Disziplinen müsse so ein Schweigerecht angesichts der Erkenntnisse aus der Gen-Analyse ebenfalls geschaffen werden, fordert der Jurist. (dpa)