Essen. . Der in Bremen aufgewachsene Murat Kurnaz war von 2002 bis 2006 ohne Anklage in dem berüchtigten US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba inhaftiert. Im Interview spricht er über die Verfilmung seines Buches „Fünf Jahre Leben“, aber auch über Verhöre und Misshandlungen.
Murat Kurnaz wurde 2001 in Pakistan bei einer Routinekontrolle festgenommen und den US-Streitkräften übergeben. Er wurde als „feindlicher Kämpfer“ eingestuft und kam als einer der ersten Gefangenen nach Guantanamo, wo er von Januar 2002 bis August 2006 festgehalten wurde. Über den Gefängnisaufenthalt und die Misshandlungen schrieb Kurnaz das Buch „Fünf Jahre meines Lebens“, dessen Verfilmung nun in die Kinos kommt.
Herr Kurnaz, mit welchen Gefühlen erleben Sie es, die erlittenen Qualen nochmals auf der Leinwand zu sehen?
Kurnaz: Für mich ist die Darstellung der Verhöre sehr zurückhaltend ausgefallen. Man hätte weitaus schlimmere Folterszenen zeigen können. Aber die Macher wollten das Publikum damit nicht zu sehr belasten. Im Großen und Ganzen bin ich mit dem Film sehr zufrieden.
"Die Wirklichkeit war sehr viel brutaler"
Die Wirklichkeit war schlimmer?
Kurnaz: Die Wirklichkeit war sehr viel brutaler. Aber das kann man dem Zuschauer kaum zumuten. Der Film konzentriert sich mehr auf den psychologischen Aspekt der Folter, was intensiv genug ist.
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Wie authentisch ist die Darstellung des Verhör-Spezialisten?
Kurnaz: Während im Film nur eine Person das Verhör führt, gab es in der Realität drei bis vier verschiedene Menschen, mit denen ich zu tun hatte. Schon allein deshalb, weil ich bisweilen 24 Stunden am Stück oder noch länger verhört worden bin.
Welchen Einfluss hatten Sie auf den Film?
Kurnaz: Der Regisseur Stefan Schaller und ich haben uns im Vorfeld sehr oft getroffen und viel gesprochen. Er hat mir auch das Drehbuch, das auf meinem Buch „Fünf Jahre meines Lebens“ beruht, zum Lesen gegeben. Bei den Dreharbeiten war ich nicht dabei. Aber ich habe dem Filmteam voll vertraut und bin mit dem Film zufrieden, wie er nun ist.
Jeden Tag an Guantanamo denken
Was erhoffen Sie sich davon?
Kurnaz: Ich hoffe, dass sich die Zuschauer Gedanken machen über die Missstände in unserer Welt und darüber, was sich ändern sollte, um diese Zustände zum Guten zu verändern.
Befürchten Sie nicht, dass durch den Film die traumatischen Erinnerungen wieder aufbrechen und die Sache keinen Abschluss findet?
Kurnaz: Nein, damit habe ich keine Probleme, denn in dieser Sache wird für mich gar kein Abschluss zu finden sein. Das Buch „Fünf Jahre meines Lebens“, das ich über meine Erlebnisse geschrieben habe, entstand nicht deshalb, um damit irgendetwas zu verarbeiten, sondern um die Öffentlichkeit auf diese Missstände in Guantanamo aufmerksam zu machen, die es bis heute ja noch gibt.
Gibt es Tage, an denen Sie nicht an Guantanamo zurückdenken?
Kurnaz: Ich versuche bewusst, jeden Tag daran zu denken. Täte ich das nicht mehr, würde ich damit nicht mehr an die Öffentlichkeit gehen. Aber mir ist es wichtig, auf diese skandalösen Zustände aufmerksam zu machen, die nicht nur in Guantanamo herrschen, sondern die es auch in anderen Geheimgefängnissen gibt.
Lebenslanges Einreiseverbot für die USA
Ex-Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier lehnte einst das Angebot der Amerikaner ab, Sie nach Deutschland zurückzuholen. Er sagt inzwischen, er bedauere ihren Fall. Genügt Ihnen das als Entschuldigung?
Kurnaz: Natürlich nicht. Denn er meinte auch, er will sich nicht entschuldigen. Entschuldigen könne man sich nur für eine falsche Tat. Doch auch heute würde er diese Entscheidung genauso noch einmal treffen. Von Terroristen würde ich keine Entschuldigung erwarten, das ist Fanatismus, aber von Regierungen und Politikern schon, weil sie Verantwortung für ungerechte Behandlung übernehmen sollten.
Wie empfinden Sie die Entschuldigung des US-Abgeordneten, der im Film gezeigt wird?
Kurnaz: Dieser Mann trug damals keine Verantwortung in der Regierung. Er hat sich also nicht als Senator, sondern als amerikanischer Bürger entschuldigt.
Warum haben Sie nicht auf Schadenersatz geklagt?
Kurnaz: Mein Anwalt riet davon ab, weil ein Prozess keine Aussichten auf Erfolg hätte.
Dürfen Sie noch nach Amerika?
Kurnaz: Nein, ich habe ein lebenslanges Einreiseverbot.
Können Opfer den Tätern vergeben?
Kurnaz: Natürlich könnte man vergeben, aber ich mache das nicht. Ich habe kein Bedürfnis, diesen Leuten nochmals zu begegnen oder ihnen eine Möglichkeit der Entschuldigung anzubieten. Menschen, die andere Menschen foltern, sollten selber nach Möglichkeiten suchen, um Vergebung zu bitten, wenn sie mit ihrer Vergangenheit Frieden schließen möchten.
Wovon leben Sie derzeit?
Kurnaz: Ich arbeite als Publizist, bin tätig als Menschenrechtsaktivist und plane Bildungsprojekte mit Jugendlichen.