Hannover/Moskau. Russlands Präsident Wladimir Putin eröffnet gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die Industrie-Messe in Hannover. Das Treffen, das eigentlich zur Verbesserung deutsch-russischer Wirtschaftsbeziehungen führen soll, wird aufgrund der Razzien gegen russische Nichtregierungsorganisationen kritisch beäugt.
Ein russisches Sprichwort besagt: "Den Freunden alles, den Feinden das Gesetz." Es muss für die Mitarbeiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung derzeit wie der blanke Hohn klingen. Denn sie und weitere aus Deutschland finanzierte zivile Einrichtungen sind jüngst zum Ziel von Razzien geworden - genauso wie russische Nichtregierungsorganisationen, die sich neuerdings als "ausländische Agenten" registrieren lassen müssen, falls sie aus dem Ausland Geld erhalten.
Russlands Präsident Wladimir Putin nennt das schlicht "Routine". Es gehe darum, ob die Organisationen gesetzeskonform sind.
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Doch die Betroffenen sehen das anders: Es gehe Putin darum, Andersdenkende einzuschüchtern. Sie werfen dem Kreml vor, eine freie und demokratische Zivilgesellschaft mit selbstbewussten Bürgern verhindern zu wollen.
Heikle Vorzeichen für den Deutschlandbesuch Putins, der am Sonntag gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die weltgrößte Industrieschau in Hannover eröffnet. Schon im Vorfeld erörterten Merkel und Putin die Verstimmungen am Telefon und die Kanzlerin ließ erklären, dass es weiteren Gesprächsbedarf gebe.
Modernisierungen in der Wirtschaft nötig
Dabei wäre eine gute Zusammenarbeit mit Deutschland insbesondere für Russland wichtiger denn je. Das Land besitzt zwar große Mengen an Öl und Gas - viel mehr hat die Rohstoffmacht derzeit aber international kaum zu bieten.
"In der russischen Industrie gibt es keinen Anreiz für Wachstum", meinen Wirtschaftsexperten in Moskau. Der Trend weise eindeutig nach unten, sagte Analyst Igor Nikolajew der Zeitung "Nesawissimaja Gaseta". Er fürchtet, dass das Bruttoinlandsprodukt 2013 um bis zu 2 Prozent und die Industrieproduktion sogar um 4,2 Prozent sinken könnte.
Die Industrieproduktion müsse dringend modernisiert werden, sagt Jens Böhlmann von der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) in Moskau. "Das erhöht auch die Konkurrenzfähigkeit." Zunächst aber müssten die Grundlagen geschaffen werden - Verkehr, Abwasser und Telekommunikation.
Kritische Stimmen aus der deutschen Politik
Für dieses Ziel wäre der Partner Deutschland ein Vorbild. Aber die Durchsuchungsaktionen bei deutschen politischen Stiftungen in Moskau und St. Petersburg haben dazu geführt, dass stattdessen wieder einmal darüber debattiert wird, inwieweit das Russland Putins überhaupt Partner für Deutschland sein kann - und sein sollte.
Auch wenn Putin in einem ARD-Interview die Vorwürfe zurückwies und behauptete, er sei für eine starke Opposition im eigenen Land, häufen sich vor dem Besuch die Forderungen, mit dem Präsidenten Klartext zu reden. FDP-Chef Philipp Rösler bezeichnet die Durchsuchungen als "nicht akzeptabel". Grünen-Chefin Claudia Roth sieht in Putin gar einen Despoten.
Jedenfalls wird das Zusammentreffen zwischen Putin und Bundeskanzlerin Angela Merkel darauf abgeklopft werden, ob sie unkritische Nähe oder kritische Distanz suchen. Die Kanzlerin sollen vor allem die Razzien gegen politische Stiftungen verärgert haben. "Das trägt sicherlich nicht zu einem verbesserten Vertrauen bei", heißt es aus deutschen Wirtschaftskreisen in Moskau. (dpa/Reuters)