Los Angeles. Vor 20 Jahren wurde die kalifornische Metropole Los Angeles von einem Gewalt-Exzess geschüttelt: Nachdem weiße Polizisten, die den schwarzen Bauarbeiter Rodney King misshandelt hatten, von einem Gericht freigesprochen worden waren, explodierte die Wut über die Apartheid des Alltags. Eine Spurensuche.

Dort, wo Chang Y. Lee den Besucher an diesem kühlen Frühlingsmorgen hinführt, lag vor 20 Jahren das Epi-Zentrums des Weltuntergangs. Im Kiez zwischen Olympic, Western, Vermont und 3. Straße machten Plünderer und Brandstifter Ende April 1992 in Los Angeles vor niemandem Halt. Tausende aus den überwiegend schwarzen Ghettos von South Central prügelten unschuldige Menschen windelweich, erschossen Dutzende und legten blindwütig ganze Straßenzüge in Schutt und Asche. 54 Tote, 2000 Verwundete, 15.000 zerstörte Häuser und Geschäfte, Sachschäden von über einer Milliarde Dollar: Die Bilanz gehört bis heute zum Schrecklichsten in der Geschichte der Stadt der Engel.

Koreatown, Lees Heimat, war die Hölle. Schwarze mochten keine Koreaner. Und umgekehrt. Heute pulsiert hier das Leben. Die Werbebanner an den Bürohäusern, die High-Tech-Firmen, Banken und Rechtsanwalts-Kanzleien beherbergen, leuchten in koreanischer Sprache. Die Restaurants sind randvoll. Das Straßenbild atmet Wohlstand, Vielfalt und Friedlichkeit. Chang Y. Lee, der Chef der Handelskammer, lacht und nickt: “Hier hat sich ein Wunder ereignet; dank Rodney King.”

Rodney Kings Gesicht sieht aus, als sei ein Panzer darüber gerollt

Die Tat am 3. März: Polizisten prügeln den am Boden liegenden Rodney King.
Die Tat am 3. März: Polizisten prügeln den am Boden liegenden Rodney King. © afp

Rückblick: Am 3. März 1991 fährt der arbeitslose Bauarbeiter Rodney King wieder einmal viel zu schnell mit dem Auto durch die Stadt. Er kommt gerade aus dem Knast, hat getrunken. Die Polizei verfolgt ihn. King fährt weiter. In Lake View Terrace bekommt die auf zehn Wagen angewachsene Streife den 25-Jährigen gestoppt. Papiere vorzeigen, Alkoholkontrolle, lautes Gemeckere, leise Flüche, das übliche. Bis Timothy E. Wind, Theodore J. Briseno, Stacey C. Koon und Laurence M. Powell die Nerven verlieren. Und dann jede Menschlichkeit. Mit Hass und schweren Metallstäben schlagen und treten die weißen Polizisten King zu Klump. 20 Kollegen sehen zu. Neun Minuten Tortur. Weil der Amateur-Filmer George Holliday zufällig auf seinem Balkon steht, sieht die Welt wenig später via Fernsehen einen Haufen Mensch, der am Boden kriecht, immer wieder versucht, auf die Beine zu kommen. Bis zum nächsten Schlag. Rodney Kings Gesicht sieht am Ende aus, als sei ein Panzer drüber gerollt. Und dann über den Rechtsstaat Amerika.

Leben und Sterben in L.A., wie es Hollywood noch nie gesehen hat

Der Gewalt-Exzess schüttelt das ganze Land. Vermittler und Heißsporne aller Rassen stehen sich feindselig gegenüber. Als die vier bis zuletzt arrogant-uneinsichtigen Prügel-Polizisten Ende April 1992 von einer weißen Jury im benachbarten Simi Valley freigesprochen werden, kommt es zum Knall. Wut und Frustration über die Apartheid des Alltags und seine Hoffnungslosigkeit entladen sich so urgewaltig, als sei eine ganze Stadt auf eine Tretmine gekommen. Präsident Georg Bush schickt die Nationalgarde in den Ausnahmezustand. Leben und Sterben in L.A., wie es Hollywood noch nie gesehen hat.

Zwei Jahrzehnte danach sind viele Wunden verheilt. Eine Frage bleibt: Kann es wieder geschehen? Forscher der Loyola Marymount Universität und mit ihr Dutzende andere Stadt-Analysierer sagen: Nein. Obwohl viele Angelenos den bankrotten Moloch wirtschaftlich auf dem Irrweg sehen, gilt die Vielfalt der 90 Nationalitäten auf dem sich über 570 Quadratmeilen erstreckenden Siedlungsteppich nicht mehr als ultraleicht entzündliches Pulverfass. Sieben von zehn Befragten, berichtet Studienleiter Fernando Guerra, halten das Aneinandervorbeileben von Schwarzen, Weißen, Latinos und Asiaten für gedeihlicher als zu Rodney Kings Zeiten.

Heute geben 80 Prozent der Einwohner der Polizei die Note "gut"

Ed P. Reyes, Stadtverordneter im chinesisch dominierten 1. Distrikt, und der bis an die Ostküste gehörte Stadt-Chronist Earl Ofari Hutchinson beglaubigen den Befund. Katalysator der Entwicklung, sagen sie, sind die gewesen, die der “Apokalypse” den Weg bereiteten: LAPD. Die Polizei von Los Angeles wurde in den 90er Jahren in den armen Stadtgebieten um South Central als “Invasoren-Bande” wahrgenommen, die mit Willkür und Brutalität von oben herab die Menschen schikanierte. “Alles Geschichte”, sagt Gus Villlanueva aus der LAPD-Zentrale gegenüber City Hall und holt strahlend eine Folie für den Projektor hervor. Nach Dutzenden Reformen, einer neuen ethnischen Durchmischung der heute 10.000 Köpfe zählenden Beamtenschar, strengen Auswahl-Prozessen und einer auf Ansprache statt auf Abgrenzung setzenden Strategie im Dienst, geben nach unabhängigen Umfragen 80 Prozent der Einwohner von Los Angeles den von Sheriff Charlie Beck angeführten Ordungshütern die Note “gut”.

Rodney King hegt keinen Groll mehr gegen die Prügel-Polizisten

Der das unfreiwillig ausgelöst hat, blickt mit erstaunlicher Milde auf die Gewalt-Orgie, die sein Leben aus dem Lot brachte. Rodney King schreibt in seinem gerade erschienenen Buch “Der Aufstand in mir: Meine Reise von der Rebellion zur Erlösung”, dass er keinen Groll mehr gegen die Beamten hegt, die ihn schlimmer behandelten als jeder Jäger sein Wild. Stacey Koon und Laurence Powell wurden 1993 in einem zweiten Verfahren zu 30 Monaten Haft verurteilt, die anderen beiden kamen mit Freispruch davon. Trotzdem sagt King: “Ich bin im Frieden mit mir - und denen.”

Der Sohn einer Zeugin Jehovas predigt in seinem heruntergekommenen Häuschen in Rialto bei Pasadena Vergebung. Freiwillig oder notgedrungen, wer weiß das schon. Der 47-jährige Vater dreier Töchter tritt bald zum dritten Mal vor den Traualtar. Eine tragische Gestalt, von Drogensucht und Hirnschäden gezeichnet. Von fünf Millionen Dollar Schmerzensgeld, die er vor Gerichten erstritten hat, ist viel bei den Anwälten geblieben und vom Rest nichts mehr da. In der Fernseh-Sendung “Celebrity Rehab”, einer Version von “Big Brother” als Entziehungskur, zu punkten oder als Betreiber eines Platten-Studios, ging völlig daneben. Wie der Versuch, endlich vom Suff loszukommen. “Ich hätte damals einfach anhalten sollen”, sagte King dieser Tage in einer Talk-Show im Fernsehen. Chang Y. Lee findet einen anderen Satz stärker: Kings Beruhigungsversuch drei Tage nach den Ausschreitungen vor 20 Jahren, als er sich auf einem Parkplatz per Megaphon mit brüchiger Stimme an die Randalierer wandte. "Can we all get along?" "Können wir nicht alle miteinander auskommen? Chang Y. Lee schaut auf den Olympic-Boulevard, die quirlige Hauptstraße von Koreatown. Langes Überlegen. Dann nickt er. Ein bisschen jedenfalls.