Washington/Miami. Der Tod eines 17-jährigen Schwarzen aus Miami regt Amerika auf und wirft ein grelles Licht auf die Selbstjustiz erleichternden Waffengesetze nicht nur in Florida. In 21 US-Bundesstaaten darf sich jederzeit und überall mit tödlicher Gewalt gegen Angreifer zur Wehr gesetzt werden.
Als das umstrittene Schieß-als-Erster-Gesetz vor sieben Jahren in Florida verabschiedet und von Gouverneur Jeb Bush unterzeichnet wurde, sagte der Kolumnist der „St. Petersburg Times“ unheilvolle Wildwest-Manieren im Sonnenschein-Staat voraus und riet Touristen, besser gleich in den Libanon zu reisen. Es sei sicherer dort. Wie Recht Martin Dyckmann hatte, wie verhängnisvoll sich der Einfluss der mächtigen Waffen-Lobbyisten von der „National Rifle Association" (NRA) auf den Gesetzgeber im Einzelfall auswirkt, wenn es legal ist, erst zu schießen und dann zu fragen, ist seit wenigen Tagen zu besichtigen.
Trayvon Martin, ein 17 Jahre alter Schüler, geht am Abend des 26. Februar in Sandford nahe Orlando nach Hause. Friedlich, ohne Arg. Auf dem Weg gerät der schwarze Teenager in das Visier von George Zimmermann, einem weißen Wachmann, der in der Gegend Privat-Streife läuft und ausgesprochen regelmäßig die Polizei ruft, wenn ihm etwas seltsam vorkommt. Martin, nicht vorbestraft, ein guter Schüler aus Miami, unbewaffnet, kommt nie zuhause an. Zimmermann erschießt ihn, wie er später sagt: aus Notwehr.
Tödliche Gewalt gegen Angreifer ist erlaubt
Die örtliche Polizei sieht keine Anhaltspunkte, daran zu zweifeln. Schließlich erlaubt es das besagte Gesetz, dass derjenige, der sich in Florida bedroht sieht und sein Leben in Gefahr wähnt, sich ohne Flutversuch gegen einen Angreifer jederzeit mit tödlicher Gewalt zur Wehr setzen darf. Und das nicht nur, wie vor 2005, in den eigenen vier Wänden. Sondern überall. In der Kneipe. Auf dem Nachhauseweg vom Baseballspiel. Oder einfach auf der Straße. „Stand your ground“, verteidige deinen Raum, lautet das Motto. Notwehr XXL.
Keine Anzeichen auf lebensbedrohliche Gefahr
Das Problem im Fall Trayvon Martin ist: Es gab laut Anwalt Benjamin Crump nach allem, was man bislang weiß, keine lebensbedrohliche Gefahr für Georg Zimmermann. Dokumentiert ist das, wie die in Miami erscheinenden Tageszeitungen heute berichten, auf zweifache Weise. Der weiße Latino ruft vor der Begegnung mit dem schwarzen Teenager die Polizei an, schwadroniert unspezifisch von einem Mann im Kapuzenpulli, der sich irgendwie auffällig verhalte und wahrscheinlich etwas auf dem Kerbholz habe. „Er guckt sich Häuser an“, sagt er der Dienst habenden Stimme unter der Notfall-Nummer 911.
Protest
Freundin des Opfers war am Telefon bis die Schüsse fielen
Die Polizei fordert Zimmermann, der sich einer rassistischen Sprache bedient, auf, ja nichts auf eigene Faust zu unternehmen. Der 28-Jährige ignoriert die Weisung, stellt den Jugendlichen, der sich („Warum verfolgst Du mich?“) seinerseits bedroht fühlt und verhört ihn nach seinen Beweggründen, gerade jetzt und hier zu sein. Trayvon Martin, das bestätigen später Anwohner, ruft laut um Hilfe. Dann fallen Schüsse. Kurz darauf ist Martin tot. Das alles weiß die Polizei, weil Trayvon Martin fast bis zum Schluss mit seiner Freundin per Handy telefonierte. Ihr berichtete er, dass da "so ein Typ" sei, der ihn verfolge. Sie riet ihm zur Flucht. Zimmermann vereitelte sie. Tödlich.
Wäre es nach dem Sheriff von Sandford gegangen, der Fall wäre – Siehe Gesetz – unter den Aktenbergen begraben worden. Zimmermann, der mal eine Bürger-Polizei-Akademie besucht hat, gab an, sich bedroht und angegriffen gefühlt zu haben. Zeugen dafür gibt es nicht. Martin kann nicht widersprechen, er ist tot. Pech gehabt.
Petition verlang lückenlose Aufklärung
Pech gehabt? Die Eltern des Jungen haben die Routine durchkreuzt. Mittlerweile gibt es im Internet über 700 000 Unterschriften für eine Petition, die lückenlose Aufklärung verlangt. Keine Fernsehnachrichtensendung, keine Zeitung, die den Fall nicht landesweit prominent berichtet. Das Justizministerium in Washington, eine absolute Rarität, hat sich gestern ebenso eingeschaltet wie das FBI.
Bürgerrechtler wie Al Sharpton und schwarze Künstler-Promis wie Spike Lee und John Legend prangern die Fragwürdigkeiten eines Gesetzes an, das mittlerweile in 21 Bundesstaaten Schule gemacht hat. Erst schießen, dann fragen. Selbstjustiz für freie Bürger. Oder wollte George Zimmermann vielleicht gar nichts wissen?