Washington/Sandford.. Im Todesfall Trayvon Martin spielen polarisierende Medien zugleich Kripo und Gericht. Die von rassistischen Untertönen geprägte Debatte wird täglich unversöhnlicher. Der Täter ist weiter auf freiem Fuß. Erst ab 10. April kommt die Staatsgewalt ins Spiel.
Der Tod des 17-jährigen Trayvon Martin lässt Amerika nicht los. Einen Monat nach dem tödlichen Schuss, den der weiße Nachbarschaftswächter Georg Zimmermann auf den unbewaffneten schwarzen Jugendlichen in Sandford/Florida abgegeben hat, sind die Umstände und Motive der Tat immer noch ungeklärt. Zimmermann ist weiter auf freiem Fuß. Er beruft sich auf Notwehr; in Florida seit 2005 auch im öffentlichen Raum ein legales Mittel der Streitschlichtung, wenn sich Menschen bedroht fühlen.
Bevor am 10. April unter dem Druck der aufgewühlten Öffentlichkeit eine „Grand Jury“ (Anklagekammer) über eine mögliche Mord-Anklage gegen Zimmermann beraten wird, schießen täglich neue Spekulationen ins Kraut. Eine unheilige Inquisition hat sich aufgemacht, kein Stein bleibt auf dem anderen. Die 24 Stunden erbittert konkurrierenden Medien übernehmen in Ermangelung berufener Strafverfolger die Rolle des Anklägers, Verteidigers und Richters. Mit grotesken Folgen.
Eine Protestwelle geht durchs Land
Seit der TV-Moderator Geraldo Rivera vor einem Millionenpublikum sagte, Trayvon Martin habe sich, als er Zimmermann über den Weg lief, mit seinem Kapuzenpulli (“Hoodie”) als potenzieller Verbrecher zu erkennen gegeben, geht eine textile Protestwelle durchs Land. Prominente aus Film, Politik und Sport lassen sich im “Hoodie” fotografieren und fragen: "Bin ich verdächtig?". Der demokratische Abgeordnete Bobby Rush aus Illinois geht im Kapuzenpulli ans Rednerpult des Repräsentantenhauses – und wird von Saaldienern abgeführt.
Die Kollateralschäden der volkseigenen Aufklärungsversuche sind beträchtlich. David und Elaine McClain, beide Ende 70, fürchten Lynchjustiz, seit ihre Adresse von dem Filmemacher Spike Lee via Twitter weltweit bekannt gemacht wurde. Die McClains leben in dem Vorort von Orlando, wo Trayvon Martin starb. Sie haben einen Sohn, der auch George Zimmermann heißt. Das ist auch schon die einzige Ähnlichkeit. Spike Lee hat sich gestern entschuldigt.
Protest
Polarisierung in dem Fall schreitet in den Medien voran
Die Polarisierung in dem Fall, der tiefe Wunden in der amerikanischen Gesellschaft aufgerissen hat, vor allem unter Schwarzen, schreitet in den Medien unvermindert voran. Auf dem Fernsehsender MSNBC (moderat bis links) darf der schwarze Bürgerrechtler Al Sharpton erst als Aktivist vor Ort lautstark die Verhaftung von Zimmermann fordern und dann später als Talkshow-Moderator selbstdarstellerisch darüber berichten. Im Gegenzug sät auf dem rechtspopulistischen Kanal Fox News der scharfzüngige Linken-Hasser Bill O’Reilly Zweifel an der Unschuld des Teenagers und charakterisiert Zimmermann als einen um die Nachbarschaft besorgten Bürger, der nur “übereifrig” gewesen sei. Rand-Details wie die, dass bei Trayvon Martin Marihuana-Krümel gefunden wurden und der Junge Graffititi-Schimpfwörter an Schul-Spinde gesprüht hat, werden ins Feld geführt, um die Gewaltanwendung Zimmermanns zu rechtfertigen.
Über die Waffengesetze in Florida, die am Anfang der Tragödie stehen, wird geschwiegen. Dass eine schwarze Aktivisten-Gruppe, die "New Black Panther", in RAF-Tonlage vor laufender Kamera ein Kopfgeld von 10.000 Dollar auf den untergetauchten Zimmermann ausloben, ist einigen Kommentatoren Anlass vor der Gefahr neuer Rassenunruhen zu warnen. Nicht von ungefähr. In wenigen Wochen jähren sich zum 20. Mal die schweren Ausschreitungen in Los Angeles im Gefolge der auf Video festgehaltenen Misshandlung des Schwarzen Rodney King durch die Polizei. Letztere spielt nach Ansicht von Rechtsexperten mehrerer Universitäten in Sandford eine dubiose Rolle.
Eltern des Opfers fordern in Talkshows die Verhaftung Zimmermanns
Erst hieß es aus Polizeikreisen offiziell, Zimmermann sei nicht zu belangen - wegen Notwehr. Dann trat der Polizeichef wegen des öffentlichen Aufruhrs zurück. Kurz darauf lancierte die Behörde über die Zeitung „Orlando Sentinel“, dass Trayvon Martin dem selbst ernannten Hilfssheriff Zimmermann die Nase gebrochen und seinen Hinterkopf auf dem Asphalt blutig getrümmert habe, bevor der tödliche Schuss fiel. Wiederum einen Tag später erklärt ein Polizei-Officer im Fernsehen anonym, die Notwehr-Version sei eine glatte Lüge. Zimmermann sei bereits so gut wie verhaftet gewesen, bevor ein Staatsanwalt sich geweigert habe, den Haftbefehl zu unterschreiben.
Zur Untermauerung kommt ein Video in Umlauf, dass Zimmermann auf der Polizeiwache in Sandford zeigt: gefasst, nirgends Blut, keine Kopfwunden oder andere Spuren eines Kampfes. Die Eltern des erschossenen Teenagers ziehen unterdessen mit den Tränen kämpfend von Talkshow zu Talkshow, fordern die Verhaftung Zimmermanns und endlich Aufklärung. Bis zum 10. April ist es noch eine Ewigkeit.