Essen. Kathrin Schmidt hat den Deutschen Buchpreis erhalten – für einen Roman über den Verlust der Sprache. Im Nachhinein betrachtet war sie die einzig mögliche Wahl für die Auszeichnung.

Ihre Stimme klingt zögerlich, als fände, erfände sie ihre Worte eben erst in diesem Moment. Ihre Sprache sei ihre Identität, sagt sie. Beides hat die Berliner Autorin verteidigen müssen gegen die innere Gefangenschaft in einem kranken System: „Für mich war Schreiben immer schon das Wichtigste”, sagt – Kathrin Schmidt.

Gewalt gegen Blaskapelle?

Deutscher Buchpreis 2009

Kathrin Schmidt. Nicht Herta Müller. Eine Außenseiterin auch sie, die bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises im Frankfurter Römer erstaunter schien als alle anderen: Über den Nobelpreis für Herta Müller freue sie sich mehr als über ihre eigene Auszeichnung, sagte sie dem beifälligen Publikum. Darunter eine ebenfalls nominierte Literaturnobelpreisträgerin, die die Größe besaß, zur Preisverleihung zu kommen, um zu verlieren. Es war absehbar, dass der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die weltwichtigste literarische Auszeichnung nicht mit einem nationalen Schleifchen zieren würde.

So saß Herta Müller im Publikum zwischen dem jungen Satzjongleur Clemens J. Setz („Die Frequenzen”), dem viel gelobten Debütanten Stephan Thome („Grenzgang”), neben dem Paarpsychologen Rainer Merkel („Lichtjahre entfernt”) und dem Heimatbeobachter Norbert Scheuer („Überm Rauschen”). Die Nobelpreisträgerin gegen einen sprachverspielten Jungspund Jahrgang 1982? Die Gewalt der Securitate gegen die Blaskapelle eines Heimatfestes? Kathrin Schmidt war die Außenseiterin, die (im Nachhinein) einzig mögliche Wahl. Die Jury entschied sich ja für größtmögliche Ähnlichkeit: das autobiografisch gefärbte Buch einer in Unterdrückung hineingeborenen Autorin (1958 in Gotha), die ihren „Identitätswirrwar” und die „Rückeroberung” von Welt und Sprache zum literarischen Thema macht.

Beinahe das Leben, die Sprache und sich selbst verloren

Vor sieben Jahren lag Kathrin Schmidt mit einer Gehirnblutung im Koma. Die fünffache Mutter verlor beinahe ihr Leben, ihre Sprache – und sich selbst: „Nicht die gesprochene, aber die geschriebene Sprache ist für mich existentiell. Das ging einher mit der Neukonstituierung einer ganzen Persönlichkeit.” Zurück blieb ein leichtes Zögern in der Stimme. Sie wehrte sich gegen die Übermacht ihrer Krankenakte, das muss man betonen – um sie abzugrenzen von den Leidens-Narzissmen eines Schlingensief oder Leinemann: „Ich habe nach meiner Erkrankung zunächst einen anderen Roman geschrieben.” Einen, in dem sie ihre Wortfülle zurückeroberte, um sie dann zu reduzieren: „Du stirbst nicht” beginnt mit den Sprachbrocken, die der Komapatientin Helene Wesendahl von der Seele rollen ins sterile Krankenzimmer hinein, ein reduzierter, bruchstückhafter Stil.

Bisher hatte die 51-Jährige mit Verschnörkelung verzaubert, in frühen Gedichten wie späteren Romanen. Nun ist ihr „so ganz anderes” Werk zu unerwarteten Ehren gekommen.