Essen. . „Eine Oma machen“, so nannten die Jugendlichen es, wenn sie Geld für Drogen brauchten und ältere Frauen überfielen. Vor dem Landgericht Essen gestand am Donnerstag ein 16-Jähriger unter Tränen den Raub, bei dem das 85-jährige Opfer auf den Gehweg stürzte und elf Tage später starb.
16 Jahre alt ist der Angeklagte, und auf seinem Gewissen lastet der Tod einer 85-jährigen Rentnerin. Unter Tränen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit gesteht der Jugendliche zum Prozessauftakt am Donnerstag vor der Jugendstrafkammer am Landgericht Essen, den Raubüberfall am 6. August 2010 auf offener Straße. Geschubst hatte er die Frau. Sie stürzte und starb elf Tage später an den Folgen ihrer Kopfverletzung.
Der Tatort schockiert: Keine schummrige Gasse, kein Hinterhof, sondern eine gut ausgebaute Durchgangsstraße im Essener Stadtteil Stoppenberg. Wohnhäuser links und rechts säumen die vierspurige Fahrbahn, schräg gegenüber liegt das Bischöfliche Schulzentrum. Angsträume sehen anders aus. Doch an dieser Stelle, an einem Sommertag um 17.10 Uhr, lauern der 85-jährigen Frau drei Jugendliche auf. Sie kommt gerade von ihrem täglichen Kaffeetrinken aus der Cafeteria des St. Vincenz-Krankenhauses, ist nur noch wenige Meter von ihrem Wohnhaus entfernt.
Er schubst sie, sie stürzt, er entreißt ihr die Handtasche
Der jetzt Angeklagte spricht sie scheinheilig an: „Wie geht es Ihnen?“ Arglos grüßt die Rentnerin zurück, da schubst er sie schon. Von hinten stellt sein Komplize der Frau ein Bein. Als sie auf den Gehweg stürzt, entreißt er ihr die Handtasche.
Zu dritt sind die Täter. Und offenbar erfahren in Überfällen auf Seniorinnen, die sie als leichte Opfer erkannt haben. Opfer, die keinen großen Widerstand leisten. „’ne Oma machen“, nennen sie es, wenn sie wieder einmal Geld für Marihuana brauchen. Der damals 15-Jährige aus Essen-Steele, ein Deutscher, bezeichnet seinen erst 13-jährigen Komplizen als Haupttäter. Wegen seines Alters kann dieser Junge für den Raub mit Todesfolge nicht verantwortlich gemacht werden, denn er ist strafunmündig. Für die Essener Justiz ist er nicht greifbar. Er soll in seinem Herkunftsland Serbien untergetaucht sein. Erfolglos blieb bislang auch die Suche nach einem etwa 15 Jahre alten Mädchen. Sie war die Freundin des 13-Jährigen, stand bei dem Überfall am Rande und lief wie die beiden Jungen weg, ohne sich weiter um die verletzte Frau zu kümmern, die in ihrer Blutlache auf dem Gehweg lag. Mit einem Phantombild fahndet die Strafjustiz nach dem Mädchen.
Elf Taten gestand der 16-Jährige
Der Tod der 85-Jährigen war im Sommer 2010 der Höhepunkt einer Serie von Raubüberfällen auf ältere Frauen in Essen. Allein elf weitere Taten gestand der 16-Jährige, als die Polizei ihn im Oktober vergangenen Jahres per Zufall überführt hatte. Die Beamten hatten ihn eigentlich nur als Zeugen für einen Diebstahl vorgeladen und vernommen. Routinemäßig zeigten sie ihm nach Abschluss der Vernehmung das Fahndungsplakat zum Überfall auf die 85-Jährige. Da fiel die coole Fassade ab von ihm. „Der hat das Plakat gesehen und fing an zu weinen“, berichtete damals der Chef der Mordkommission, Axel Stang.
Die Justiz hat offenbar Hoffnung, dass für den 16-Jährigen Aussichten bestehen, sein Leben zu ändern. Er sitzt nicht in Untersuchungshaft, sondern ist außerhalb des Ruhrgebietes in einem Heim der Jugendhilfe untergebracht. Es sind Heime, die Jugendlichen das Rüstzeug mitgeben sollen, das sie vorher im oft zerrütteten Elternhaus nicht bekamen.
Nach seinem Komplizen fahndet die Essener Staatsanwaltschaft mittlerweile mit einem europäischen Haftbefehl. Im September, also einen Monat nach dem Überfall auf die 85-Jährige, war er als 14-Jähriger strafmündig geworden. Bis zu seinem Untertauchen auf dem Balkan hatte er nach Erkenntnissen der Fahnder mehrere neue Raubüberfälle begangen.