Essen. Schon wieder Streit bei Thyssenkrupp: Gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter wird Ilse Henne neue Chefin des Werkstoffhandels.
Bei Thyssenkrupp hat der Vorstand erneut eine wichtige Entscheidung gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter durchgesetzt. Um Ilse Henne zur neuen Vorsitzenden des Vorstands der Werkstoffhandelstochter Thyssenkrupp Materials Services zu machen, musste der zuständige Aufsichtsratschef Jens Schulte nach Angaben der IG Metall seine Doppelstimme einsetzen, um damit die Vertreter der Belegschaft zu überstimmen.
„Das rücksichtslose Durchdrücken von Personalentscheidungen gegen den Willen der Arbeitnehmer macht im Konzern offensichtlich Schule”, sagt Ingo Klötzer, Unternehmensbetreuer der IG Metall und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei Thyssenkrupp Materials Services. „Dies ist ein Armutszeugnis und ein trauriges Zukunftssignal für die Sozialpartnerschaft bei Materials Services und darüber hinaus für den gesamten Konzern Thyssenkrupp.“
Überraschend hatte der langjährige Chef der Thyssenkrupp-Werkstoffhandelssparte, Martin Stillger, vor wenigen Tagen seinen Rückzug erklärt. Auch bei den Arbeitnehmervertretern genoss Stillger, der schon seit dem Jahr 2008 im Konzern tätig ist, einen guten Ruf.
„Hier wird die Mitbestimmung geschreddert“
Das Thyssenkrupp-Management erklärte, Ilse Henne übernehme den Chefposten bei Materials Services in Personalunion mit ihrer Funktion als Mitglied des Vorstandes der Thyssenkrupp AG. Jens Schulte, ihr Vorstandskollege auf Konzernebene, hatte sein Amt als Finanzchef von Thyssenkrupp erst vor wenigen Tagen angetreten. Dass er nun als Aufsichtsratschef der Werkstoffsparte seine Doppelstimme einsetzt, ruft bei der IG Metall scharfe Kritik hervor. „Hier wird die Mitbestimmung geschreddert“, sagt Ingo Klötzer.
Die IG Metall befürchtet nach eigener Darstellung weitreichende Folgen für Thyssenkrupp Materials Services. Die neue Spartenchefin Henne werde „versuchen, die realitätsfernen wirtschaftlichen Ziele von Konzernchef López durchzudrücken“, so Klötzer. „Wir sehen dadurch Arbeitsplätze in Gefahr.“ Mehr als 16.000 der rund 100.000 Beschäftigten von Thyssenkrupp gehören zum Werkstoffhandel. „Die Verunsicherung unter den Beschäftigten und Führungskräften ist groß“, sagt Klötzer. „Thyssenkrupp verspielt erneut unnötig Vertrauen.“
Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Russwurm: Doppelstimme bei wichtigen Entscheidungen
In einer Mitteilung der Konzernleitung heißt es, Martin Stillger habe sein Mandat auf „eigenen Wunsch hin niedergelegt“. Aus Sicht der IG Metall ist indes „der massive Druck der Konzernspitze in Person von Vorstandschef Miguel López“ ursächlich für diesen Schritt. Für die Gewerkschaft sei der Personalwechsel überraschend, da Thyssenkrupp Materials Services „ein gut geführtes und strategisch gut aufgestelltes Unternehmen“ sei.
Für den Gesamtkonzern sei zu befürchten, dass die Nutzung der Doppelstimme in Aufsichtsräten bei Thyssenkrupp nun „üblich“ werde. Trotz einer ablehnenden Haltung der Arbeitnehmervertreter hatte der Thyssenkrupp-Aufsichtsrat vor wenigen Tagen einem Einstieg des tschechischen Geschäftsmanns Daniel Křetínský bei der Stahlsparte des Ruhrgebietskonzerns zugestimmt. Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm übertrumpfte die Arbeitnehmervertreter dabei mit seiner sogenannten Doppelstimme als Gremienchef. Dies hatte er wenige Wochen zuvor auch bereits bei einer umstrittenen Erweiterung des Thyssenkrupp-Vorstands getan.
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