Essen. Thyssenkrupp-Konzernchef López unter Druck. Tausende Beschäftigte protestieren gegen seine Pläne. Auch „López raus“-Rufe werden laut.
Als Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López die Bühne vor der Essener Firmenzentrale betritt, wird er mit Buhrufen empfangen. Tausende Beschäftigte haben sich vor dem stählernen Bürogebäude versammelt. Einige haben Trommeln mitgebracht, andere Trillerpfeifen. López wartet einige Augenblick, bevor er seine Rede beginnt, als hoffe er darauf, dass sich die Menschen, die zur Kundgebung gekommen sind, wieder beruhigen. Doch Ruhe kehrt nicht ein. „Liebe Kolleginnen und Kollegen“, sagt López endlich – und prompt schallt ihm ein „Du bist kein Kollege“ entgegen.
López hat ein Statement vorbereitet, das auf knapp zweieinhalb DIN-A-4-Seiten passt. Er sagt, die Stahlindustrie müsse sich verändern. Hohe Kosten, eine geringe Nachfrage, Billigimporte aus Asien – López listet auf, warum die Lage schwierig sei, aber große Neuigkeiten verkündet der Konzernchef nicht. Immer wieder wird er von Zwischenrufen unterbrochen – auch als er für seinen Deal mit dem tschechischen Geschäftsmanns Daniel Kretinsky wirbt, der jetzt mit 20 und später mit 50 Prozent bei der Stahlsparte von Thyssenkrupp einsteigen will. „Ein wichtiger Schritt“ sei dies, um die Stahlsparte „wieder leistungsstark“ zu machen, sagt López – und erntet erneut Buhrufe.
Auf seine Bemerkung, „ohne Einschnitte wird es nicht gehen“, folgen die ersten „Lopez raus!“-Rufe, und als der Thyssenkrupp-Chef versichert, es bleibe im Unternehmen bei „gelebter Sozialpartnerschaft“, rufen einige auch noch „Lügner“.
Stopp-Schilder als Botschaft für Thyssenkrupp-Chef López
Nach wenigen Minuten eilt der Manager wieder ins Konzern-Quartier, in dem sich später auch die Aufsichtsräte des Unternehmens versammeln sollen, um zum geplanten Kretinsky-Einstieg zu beraten.
Am Rande der Kundgebung warnt der nordrhein-westfälische IG-Metall-Chef Knut Giesler das Thyssenkrupp-Management vor einer Entscheidung zum Teilverkauf der Stahlsparte gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter. Dann werde es „monatelange Unruhe“ in den Betrieben geben, sagt Giesler. Er regte an, das Votum im Aufsichtsrat „einstimmig zu verschieben“. Noch lägen zu wenige Fakten auf dem Tisch.
Eine ähnliche Botschaft geht von den Pappschildern aus, die viele Beschäftigte bei ihrer Demonstration in die Höhe recken. Besonders oft sind darauf „Stopp“-Zeichen zu sehen, „So nicht, Herr Lopez!“, steht dahinter.
IG Metall: Zukunft von Duisburger Stahlkonzern HKM klären
Jürgen Kerner, als stellvertretender Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp der ranghöchste Arbeitnehmervertreter im Kontrollgremium des Konzerns, zeigt sich unzufrieden. Es gebe „noch zu viele Unklarheiten“, was den Teilverkauf an Kretinsky und die zukünftige Strategie des Stahlvorstands angeht. Kerner bietet dem Vorstand um López Verhandlungen an. Auch die Zukunft des Duisburger Stahlkonzerns HKM, an dem Thyssenkrupp beteiligt ist, müsse vor dem Einstieg von Kretinsky geklärt werden. Zudem besteht er auf dem Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und einer klaren Finanzierung. Das sei „bis zum Sommer machbar“, sagt er.
Kurz vor der Kundgebung in Essen habe er eine gute halbe Stunde mit Kretinsky gesprochen, berichtet Kerner freimütig. Sein Eindruck sei, der tschechische Milliardär habe keinen Zeitdruck. Der Druck komme vom Thyssenkrupp-Vorstand.
Der Aufsichtsrat, der nach der Kundgebung tagt, ist gleichermaßen mit Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer besetzt. Der Chefaufseher Siegfried Russwurm, der auch BDI-Präsident ist, könnte die Vertreter der Beschäftigten aber mit seiner sogenannten Doppelstimme übertrumpfen. Vor einem solchen Schritt warnen Arbeitnehmervertreter eindringlich. „Billig verkaufen lassen wir uns nicht“, sagt Thyssenkrupp-Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol. „Sorgfalt und Sicherheit müssen vor Schnelligkeit gehen.“
Krupp-Stiftung hätte gemeinsam mit Arbeitnehmern eine Mehrheit
Die von der früheren Dortmunder Uni-Rektorin Ursula Gather geführte Krupp-Stiftung, die größte Einzelaktionärin von Thyssenkrupp, hat sich schon frühzeitig eindeutig positioniert und die Beteiligung der Kretinsky-Firma EPCG am Stahlgeschäft des Ruhrgebietskonzerns gelobt. Gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern hätte die gemeinnützige Essener Stiftung eine Mehrheit im Aufsichtsrat.
NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) tritt – wie schon wenige Wochen zuvor bei einer Kundgebung von Stahl-Beschäftigten in Duisburg – auf, um dem Thyssenkrupp-Vorstand eine Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern nahezulegen. Auch einen Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen mahnt Laumann an. „Das muss auf dem Zettel stehen“, sagt er und ruft den Stahlkochern zu: „Wir lassen nicht zu, dass in diesem Land die soziale Partnerschaft mit Füßen getreten wird.“ Dafür erntet Laumann viel Applaus.
„Verunsicherung nicht kleiner, sondern größer geworden“
Mit dem Auftritt von López sei „die Verunsicherung nicht kleiner, sondern größer geworden“, sagt der Duisburger Grünen-Bundestagsabgeordneten Felix Banaszak. Er hat sich unter die Protestierenden in Essen gemischt. Banaszak appelliert an die Aufsichtsratsmitglieder, es dürften keine Fakten geschaffen werden, solange wichtige Fragen zum Einstieg des tschechischen Investors Kretinsky noch ungeklärt seien. Eine Entscheidung durch die Doppelstimme von Aufsichtsratschef Russwurm gegen das Votum der Arbeitnehmervertreter würde nach Einschätzung von Banaszak „Schaden anrichten“.
Die NRW-Vorsitzende der SPD, Sarah Philipp, nennt López‘ Rede gegenüber unserer Redaktion einen „nichtssagenden Auftritt“ und sagt: „Leere Worthülsen geben den Beschäftigten und deren Familien keine Sicherheit.“ Nur mit Standort- und Jobgarantien könne der Vorstand verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Das traut sie López offenbar aber nicht zu: „Die Tausenden Beschäftigten vor der Thyssenkrupp-Zentrale sind die Zukunft des Konzerns“, sagt Philipp. „Dass Herr López Teil dieser Zukunft ist, wird zunehmend schwerer vorstellbar.“
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