Essen. Bei Thyssenkrupp verlässt der Chef einer wichtigen Sparte überraschend den Konzern. Arbeitnehmervertreter zeigen sich entsetzt.
Der Essener Stahl- und Industriegüterkonzern Thyssenkrupp kommt nicht zur Ruhe. Überraschend gibt der Chef der wichtigen Werkstoffhandelssparte, Martin Stillger, seinen Job auf. Mehr als 16.000 Beschäftigte gehören zu diesem Konzernbereich „Materials Services“, der bei Thyssenkrupp seit Jahren ein verlässlicher Gewinnbringer ist. Auch bei den Arbeitnehmervertretern genoss Stillger, der schon seit dem Jahr 2008 im Konzern tätig ist, einen guten Ruf.
Bereits zum 31. Mai werde Stillger sein Mandat als Vorsitzender des Vorstands von Thyssenkrupp Materials Services „einvernehmlich niederlegen“ und den Konzern „auf eigenen Wunsch hin verlassen“, erklärte das Unternehmen am 27. Mai auf Anfrage unserer Redaktion. Wer den Spitzenjob im Konzern übernehmen wird, sei noch offen. „Über die Nachfolge werden die zuständigen Gremien zeitnah entscheiden“, so das Management.
Klaus Keysberg, scheidender Konzern-Finanzchef und Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssenkrupp Materials Services, betonte, das Unternehmen bedauere „die Entscheidung von Martin Stillger sehr“ und danke ihm für seine langjährige Tätigkeit.
Arbeitnehmervertreter zeigen sich entsetzt. „Wir gehen von einer personellen Änderung aus, die offensichtlich von Konzernchef Miguel López forciert wurde“, sagt Ingo Klötzer, Unternehmensbetreuer der IG Metall und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Materials Services. „Konzernchef López hat offensichtlich Erwartungen, die bei der derzeitigen Marktlage nicht zu erfüllen sind.“
Arbeitnehmervertreter sehen Verantwortung bei Konzernchef López
Die Arbeitnehmervertreter von Thyssenkrupp verweisen darauf, dass die Werkstoffhandelssparte in den vergangenen Jahren gute Ergebnisse geliefert habe. Auch in schwierigen Zeiten habe der Konzernbereich seine Prognosen eingehalten oder sogar übertroffen. Umso überraschter seien die Interessenvertreter der Beschäftigten im Personalausschuss des Unternehmens über die Entscheidung von Konzernchef Miguel López sowie der für die Sparte zuständigen neuen Vorständin Ilse Henne zur Trennung von Stillger gewesen. Der Aufsichtsrat und die Vertreter der Mitbestimmung seien in diese Entscheidung nicht eingebunden gewesen, hieß es bei der IG Metall. Für die Arbeitnehmervertreter sei der Vorstand mit Martin Stillger an der Spitze ein verlässlicher Partner gewesen. Das habe sich insbesondere auch in kritischen Momenten gezeigt, etwa beim Abbau von Beschäftigten.
Wie vor wenigen Wochen bekannt geworden ist, plant das Thyssenkrupp-Management bei der Tochterfirma Schulte, die zur Sparte Materials Services gehört, einen massiven Arbeitsplatzabbau. Das Ziel sei eine „strategische Neuausrichtung“ der Firma. Rund 450 Jobs sollen wegfallen, also jede fünfte Stelle im Unternehmen. Auch die Schließung mehrerer Standorte sei „unvermeidlich“, berichtete das Unternehmen, ohne Details zu den geplanten Einschnitten zu nennen. Sämtliche Arbeitsplätze befinden sich in Deutschland. Standorte in NRW betreibt Thyssenkrupp Schulte unter anderem in Mülheim an der Ruhr, Ratingen und Dortmund.
Welcher Standort aufgegeben werde, solle nun mit den Arbeitnehmervertretern besprochen werden, erklärte das Unternehmen auf Nachfrage. Mit Blick auf die Frage, ob es betriebsbedingte Kündigungen geben wird, betont der Konzern: „Erklärtes Ziel ist es, den Umbau sozialverträglich zu gestalten.“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp-Tochterfirma Schulte geplant
„Wir werden um jeden Arbeitsplatz kämpfen“, sagte Petra Mölsen, die Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Thyssenkrupp Materials Services, unlängst unserer Redaktion. Pläne für Standort-Schließungen werde der Betriebsrat intensiv hinterfragen. „Das werden harte Verhandlungen“, betonte die Arbeitnehmervertreterin. Sie verwies auch darauf, es sei bereits beschlossen, dass ein Werkstoff-Lager am Standort Mülheim aufgegeben und zum 31. Dezember geschlossen werde.
Auch bei der Stahlsparte von Thyssenkrupp zeichnen sich tiefe Einschnitte ab. Der Vorstand von Deutschlands größtem Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel hatte angekündigt, das Unternehmen solle für eine deutlich geringere Produktion neu zugeschnitten werden. Bislang seien die Anlagen auf eine Jahresproduktion von rund 11,5 Millionen Tonnen ausgelegt. Künftig sollen es lediglich neun bis 9,5 Millionen Tonnen sein. Damit fällt fast ein Viertel der Produktion weg. Es werde einen „noch nicht bezifferbaren Abbau von Arbeitsplätzen“ geben. Als eine Faustformel in der Stahlindustrie gilt: „Eine Million Tonnen gleich 1000 Arbeitsplätze.“ Große Werke von Thyssenkrupp Steel befinden sich in Duisburg, Bochum, Dortmund und in Südwestfalen. In der Thyssenkrupp-Stahlsparte gibt es derzeit rund 27.000 Arbeitsplätze. Insgesamt gehörten rund 100.000 Beschäftigte zum Thyssenkrupp-Konzern.
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