Düsseldorf. Günstiges Wohnen war Markenzeichen des Ruhrgebiets. Doch das ändert sich gerade, es gibt zu wenige Wohnungen. Was ist schiefgelaufen?

Jahrelang war der Wohnungsmarkt in Nordrhein-Westfalen relativ entspannt. Doch das ändert sich gerade: Bevölkerungswachstum, Zuwanderung von Flüchtlingen und zu wenig Neubau führen nun auch im größten Bundesland zu Wohnungsmangel. Die Folgen: Wohnen wird spürbar teurer. Und für viele Gruppen wird es deutlich schwerer, eine neue Wohnung zu finden.

Die Lage verschärft sich sogar im Ruhrgebiet, wo die Mieten bisher relativ moderat waren. Wer eine Wohnung mit 70 Quadratmetern sucht, muss in Dortmund inzwischen im Durchschnitt eine Kaltmiete von 8,07 Euro pro Quadratmeter zahlen. Verglichen mit anderen Metropolen in Deutschland ist das wenig. Doch der Anstieg ist gewaltig: Vor zehn Jahren waren es noch 5,19 Euro. So stark sind die Mieten nirgendwo sonst in NRW gestiegen.

Auch in anderen Ruhrgebietsstädten wurden die Mieten kräftig erhöht – und werden wohl auch weiter steigen, prognostizieren die Expertinnen und Experten der landeseigenen NRW-Bank in einer aktuellen Studie. „Steigt die Bevölkerungs- und Haushaltszahl künftig weiter an, bleibt die Nachfrage auf dem Mietwohnungsmarkt hoch“, sagt Melanie Kloth, Expertin für Wohnungsmarktbeobachtung bei der NRW-Bank. Gleichzeitig würden viele Menschen wegen der deutlich gestiegener Zinsen und der hohen Baukosten ihre Pläne verschieben, eine Eigentumswohnung oder ein Haus zu kaufen. „Das führt wiederum zu einer verstärkten Nachfrage auf dem Mietwohnungsmarkt. In der Folge ist davon auszugehen, dass die Mieten weiter steigen.“

Die Wohnungsnot eskaliert.
Rolf Buch - Vorstandsvorsitzender von Vonovia

Diese Entwicklung beobachten auch andere Player der Branche. Besonders deutlich wird Rolf Buch, Vorstandsvorsitzender von Vonovia, Europas größtem Wohnungsunternehmen mit Sitz in Bochum. „Die Wohnungsnot eskaliert“, sagt Buch. „Die Nachfrage war nie größer. Wir müssen endlich begreifen, dass die Wohnungsnot eines der wichtigsten Themen unserer Zeit ist.“

Bei Vonovia erleben sie das Problem jeden Tag. Auf jede freie Wohnung melden sich Hunderte Interessenten. „Wir müssen vergebene Wohnungen sehr schnell wieder aus dem Angebot herausnehmen, weil wir der Flut von Anfragen kaum Herr werden“, sagt Buch. Und das Problem wächst weiter, denn kaum eine der knapp 500.000 Wohnungen des Dax-Konzerns in Deutschland ist überhaupt noch frei. Die Leerstandsquote ist auf zwei Prozent gesunken und repräsentiert gerade einmal die Wohnungen, die modernisiert werden.

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Bei den Wettbewerbern ist die Lage nicht besser. Der größte nordrhein-westfälische Vermieter LEG meldete zuletzt eine Leerstandsquote von 2,4 Prozent, der Gelsenkirchener Konzern Vivawest mit seinen knapp 120.000 Wohnungen sogar nur 0,8 Prozent. „Das ist der niedrigste Wert in der Unternehmensgeschichte“, kommentiert Sprecher Gregor Boldt. Die Nachfrage nach Wohnungen sei „ungebrochen hoch“.

Eine Entspannung bei den Mieten ist also nicht in Sicht. Das hat eine Reihe von Gründen.

1. Falsche Prognosen: Bevölkerung schrumpft nicht, sie wächst

Land und Kommunen hatten sich eigentlich auf schrumpfende Bevölkerungszahlen eingestellt. Bis zum Jahr 2021 trafen die Prognosen auch ein. Doch danach kehrte sich der Trend um. Allein im Jahr 2022 kamen in NRW rund 215.000 Menschen hinzu. Das entspricht ungefähr der Größe einer Stadt wie Oberhausen. Das Landesstatistikamt führt den Zuzug vor allem auf Fluchtbewegungen aus der Ukraine zurück. Mit dem Effekt, dass die Einwohnerzahlen und damit auch die Nachfrage nach Wohnungen in nahezu allen 396 nordrhein-westfälischen Kommunen zum Teil deutlich stiegen.

„Wir werden bunter, wir werden älter, wir werden weniger“, davon sei man lange ausgegangen, sagt Alexander Rychter, Chef des VdW Rheinland Westfalen, des Verbandes der sozial orientierten Wohnungswirtschaft. „Man ging davon aus, dass die Bevölkerung schrumpft und dass man vor allem den Bestand modernisieren muss. Heute muss man sagen: Wir werden immer noch bunter und älter, aber wir werden nicht mehr weniger. Ein wichtiger Faktor ist dabei übrigens die Zuwanderung gut ausgebildeter Menschen aus anderen EU-Staaten.“

2. Mehr Alleinstehende brauchen mehr Wohnungen

Für zusätzlichen Druck auf den Immobilienmarkt sorgt eine weitere Entwicklung: Immer mehr Menschen wohnen allein. 2021 waren es 1,21 Millionen im Alter zwischen 15 und 45 Jahren – Auszubildende, Studierende, aber auch hochqualifizierte Arbeitsmigranten. Nach Zahlen der NRW-Bank kommen Familien mit Kindern (zwei Millionen) und Alleinerziehende (0,5 Millionen) hierzulande nur auf einen Anteil von 30 Prozent. 2,5 Millionen Paare haben keine Kinder, 3,5 Millionen Menschen leben ganz allein.

Die zusätzliche Nachfrage erschwert die Wohnungssuche, besonders für Gruppen, die es ohnehin schwerer haben. Einer Umfrage zufolge hatten zuletzt Rollstuhlnutzer, Familien mit mehreren Kindern, Haushalte mit niedrigem Einkommen und Transferleistungsbeziehende, ältere Menschen, die eine barrierearme Wohnung suchen, sowie Alleinerziehende schlechte Chancen, eine „adäquate und bezahlbare Wohnung“ zu finden. (Wie es den benachteiligten Gruppen am Wohnungsmarkt geht, lesen Sie hier: eine Familie, eine Rentnerin, ein Rollstuhlfahrer.) Die NRW-Bank stellte überdies fest, dass es Geflüchtete besonders schwer haben, eine Wohnung zu finden. Ausnahmen seien allein Ukrainerinnen und Ukrainer.

3. Hohe Baukosten führen zum Einbruch beim Neubau

Die Nachfrage nach Wohnraum steigt, aber im ersten Halbjahr 2023 ist die Zahl der Baugenehmigungen in NRW um 33 Prozent eingebrochen. Beim Neubau von Ein- und Zweifamilienhäusern wurden im Vorjahresvergleich 43 Prozent weniger Wohnungen genehmigt, beim Neubau von Geschosswohnungen betrug der Rückgang 36 Prozent. Die Flaute machte sich vor allem im Ruhrgebiet bemerkbar.

Der Grund: Investoren stellen Neubauvorhaben aufgrund gestiegener Baukosten und Zinsen zurück. „Über 25 Jahre haben sich die Baukosten parallel zur allgemeinen Inflation entwickelt. Doch mit Beginn der Pandemie sind die Baukosten davongelaufen, mit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich das massiv beschleunigt“, sagt Alexander Rychter von der sozial orientierten Wohnungswirtschaft. „Wir befinden uns in einer Phase, die durch schnelle Zinsanhebungen, steigende Preise für Baumaterialien, unsichere Förderbedingungen und die Störung von Lieferketten geprägt ist. Die Baukosten sind nun rund 40 Prozent höher als vor der Pandemie.“

Die Folge: „Mehr als zwei Drittel unserer Mitgliedsunternehmen haben den Neubau eingestellt oder massiv zurückgefahren, darunter sind viele Genossenschaften, kommunale Gesellschaften und Stiftungen, also diejenigen, die traditionell für bezahlbare Wohnungen sorgen.“, sagt Rychter. (Ein ausführliches Interview mit Rychter lesen Sie hier.)

4. Weniger Menschen in NRW können sich Eigentum leisten

Die Mieten steigen auch, weil sich „weniger Menschen in Nordrhein-Westfalen den Kauf von Eigentum leisten konnten und ihre Kaufentscheidung zumindest verschoben“ haben, beobachtet die NRW-Bank. Erstmals seit der Finanzmarktkrise 2009 diagnostiziert das Institut landesweit sinkende Preise für Eigentumswohnungen und Eigenheime. „Hier machen sich neben den steigenden Zinsen auch die Unsicherheiten über zukünftige gesetzliche Regelungen und Aufwände zur energetischen Modernisierung bemerkbar“, urteilen die Experten der NRW-Bank. Noch ist auch keine Wende absehbar, dass zusätzlicher Neubau den Markt spürbar entlastet.

Die Folgen der Effekte sind eindeutig: Das Angebot an Wohnraum ist und bleibt knapp, die Nachfrage erhöht sich weiter – und damit werden auch die Mieten weiter deutlich steigen. Die gute Nachricht ist: Noch sind die Preise deutlich niedriger als in anderen Metropolregionen. Und im Durchschnitt können sich die Haushalte die Mieten auch noch leisten: Experten empfehlen, nicht mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens für die Kaltmiete auszugeben. Mit 28,9 Prozent liegt NRW insgesamt noch darunter.

Für das Ruhrgebiet ergibt sich ein differenziertes Bild: Mülheim liegt mit 31,5 Prozent über der Grenze, die anderen Städte bleiben zwischen 26,7 Prozent (Bottrop) und 29,5 Prozent (Dortmund) etwas darunter. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Die Mieten sind zwar noch niedriger, die Belastung für die Mieter aber nicht mehr deutlich geringer als in wohlhabenden Boomregionen wie Köln (31,7 Prozent), Düsseldorf (30,9 Prozent) oder Hamburg (30,1 Prozent).

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