Wesel. Mehr als zwei Jahre spielte Walter Testrut jeden Abend die Ukraine-Hymne. Das gefiel nicht allen. Was seine Frau nun erlebte, lässt ihn aufhören.
Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat Walter Testrut aus Wesel allabendlich die ukrainische Nationalhymne auf seinem E-Piano gespielt. Der musikalische Rentner hat damals, wie viele andere Musiker in Nordhein-Westfalen, seine Solidarität bekunden und ein Zeichen setzen wollen. Nach nun mehr als zwei Jahren ist nun allerdings Schluss damit, Walter Testrut hört auf. Ganz freiwillig hat er diese Entscheidung jedoch nicht getroffen.
Am Abend des 5. Mai, also vergangenen Sonntag, lief zunächst alles wie immer. Am offenen Fenster spielte Testrut wie jeden Abend die besagte Hymne, rund drei Minuten dauert das stets. „Ich spiele das natürlich bewusst etwas lauter, um darauf aufmerksam zu machen, was in der Ukraine los ist“, erklärt Testrut. Kurz darauf klingelte das Telefon, Testruts Frau ging ran und wurde von einer ihr unbekannten Frauenstimme harsch angegangen. „Sagen Sie Ihrem Mann, er soll die scheiß ukrainische Hymne nicht so laut spielen“, habe die Anruferin in gebrochenem Deutsch geschimpft, berichtet Testrut.
Klavierspieler fühlt sich bedroht
Bei der Polizei habe das für eine Anzeige nicht ausgereicht, jedoch ist das Ehepaar so verunsichert, dass es Konsequenzen zieht: „Unter diesen Umständen werde ich es nicht mehr tun“, kündigt Walter Testrut an. „Wenn man schon sieht, dass Politiker angegriffen werden, wenn sie nur Plakate aufhängen. Es tut mir leid, das ist mir zu gefährlich.“ Angst vor körperlichen Angriffen hat er zwar nicht, aber durchaus die Sorge, dass Menschen, die ein Problem mit seinem Hymnenspiel haben, sein Reihenhaus beschädigen könnten.
Obwohl die meisten Nachbarn den Mittsiebziger in seinem bisherigen Engagement unterstützen, ihm sogar regelmäßig applaudieren, ist es nicht das erste Mal, dass Walter Testrut Ärger wegen der Aktion hat. Im Sommer 2023 sah er sich mit einem Polizeieinsatz konfrontiert wegen angeblicher Ruhestörung. Eigentlich zuständig war allerdings das Ordnungsamt der Stadt Wesel. Und das hatte dem damals 76-Jährigen nicht nur schriftlich mitgegeben, dass es sich bei seinem Klavierspiel keinesfalls um Ruhestörung handelt, sondern ihn sogar gleich als musikalische Begleitung für den nächsten Empfang einer Delegation aus der neuen ukrainischen Partnerstadt gebucht. Auch bei der Eröffnung einer Ausstellung ukrainischer Künstler im Wasserturm hat Testrut schon gespielt.