Wesel. Nach einem Polizeieinsatz wegen vermeintlicher Ruhestörung hat die Stadt grünes Licht gegeben: Walter Testrut spielt wieder täglich die Hymne.

Der Streit um die vermeintliche Ruhestörung wegen eines täglichen Minikonzertes am offenen Fenster in Wesel ist gelöst: Hobbymusiker Walter Testrut überbrachte der Redaktion die freudige Nachricht – ab sofort will er wieder täglich um 18 Uhr die ukrainische Nationalhymne auf seinem E-Piano spielen. Nachdem ein Unbekannter aus der Nachbarschaft der Jülicher Straße deswegen die Polizei gerufen hatte, hat der 77-jährige Rentner es nun schwarz auf weiß von der Stadtverwaltung Wesel, dass es sich dabei nicht um eine Ruhestörung handelt.

In einem Schreiben der städtischen Ordnungsbehörde an Testrut, das der Redaktion vorliegt, heißt es dazu: „Aus Sicht der Stadt Wesel stellt das von Ihnen täglich gegen 18 Uhr über nur wenige Minuten praktizierte Musizieren bei geöffnetem Fenster keinen Verstoß gegen die Bestimmungen des Landes-Immissionsschutzgesetzes dar.“ Von der Stadt sei deshalb auch zu keinem Zeitpunkt das Spielen verboten worden, die Kreispolizei sei von der Verwaltung über diese Rechtsauffassung informiert worden. Nach einer kurze Pause legt Walter Testrut also wieder mit seinem Konzert los.

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In der Jülicher Straße in Wesel könnten schon bald wieder die Klänge der ukrainischen Nationalhymne zu hören sein. Denn nachdem sich Hobby-Musiker Walter Testrut mit einem Polizeieinsatz wegen vermeintlicher Ruhestörung konfrontiert sah, weil er seit mehr als anderthalb Jahren jeden Abend ein dreiminütiges Kurzkonzert an seinem Wohnzimmer-Fenster gab, scheint sich die Sache jetzt schnell zum Guten aufzulösen.

Denn bei der zuständigen Ordnungsbehörde der Stadt Wesel ist die alltägliche Musikeinlage, die der 77-Jährige bereits seit Februar 2022 auf einem E-Piano am Fenster seines Hauses hinlegt, schon seit längerem wohlbekannt. „Nach einer Beschwerde waren Mitarbeiter der Ordnungsbehörde bereits im Frühjahr vor Ort und haben sich die Sache angehört“, berichtet Stadtsprecher Sven Coralic der NRZ. Die Fachleute bei der Verwaltung wälzten anschließend mehrere Urteile zum Thema Ruhestörung in der Nachbarschaft und kamen zu dem Schluss: Es gibt keinen Anlass, Walter Testrut das tägliche Spielen der Nationalhymne zu verbieten. „Das wäre unverhältnismäßig“, so Coralic.

Ganz im Gegenteil – die Stadt lobt den Weseler Rentner für ein Engagement, das er mit dem Musizieren ausdrückt. „Das ist ein positives Signal, auf diese Weise seine Solidarität mit der Ukraine zu zeigen“, sagt Coralic. Deshalb hat die Verwaltung den Hobbymusiker nun auch dazu eingeladen, die Hymne bei nächsten Empfang einer Delegation aus der angehenden ukrainischen Partnerstadt Nowomoskowsk in einer größeren Öffentlichkeit zu spielen.

„Das werde ich gerne machen, aber jemand muss mir die Klamotten tragen, ich habe Rücken“, sagte Walter Testrut im Gespräch mit der Redaktion. Bis er an seinem Fenster wieder am E-Piano loslegt, wartet er aber zunächst noch auf eine schriftliche Bestätigung der Stadtverwaltung, dass ihm das Fensterkonzert weiterhin erlaubt ist. Denn er habe selbst im öffentlichen Dienst gearbeitet und wolle da auf Nummer sicher gehen. Klar scheint aber zu sein: Der Unbekannte, der die Polizei wegen der Ruhestörung gerufen hat, bewirkte in der Nachbarschaft eine Welle der Solidarität. „Es gibt sogar Leute, die jetzt selbst die Hymne um Punkt 18 Uhr spielen wollen“, berichtet Testrut. Dann allerdings von einer CD.

Mehrere Menschen aus Wesel wandten sich an die NRZ-Redaktion

Deutliche Worte zu dem Vorfall fanden auch mehrere Weselerinnen und Weseler, die sich per Mail an die NRZ wandten. So schrieb Monika Schäfer: „Es ist wirklich nicht zu fassen, dass es eine Beschwerde bei der Polizei wegen eines täglichen, um 18 Uhr stattfindenden dreiminütigen Konzerts von Herrn Testrut gegeben hat. Ist die Polizei überhaupt Ansprechpartner, wenn man von einer Belästigung ausgehen kann? Nicht das Ordnungsamt? Hat die Polizei keine wichtigeren Aufgaben? Wir als Nachbarn fühlen uns keinesfalls belästigt, im Gegenteil: wir bewundern das Engagement von Herrn Testrut über diese vielen Monate und unterstützen das. Wir gehen zum Hören immer auf unsere Terrasse, weil im Haus bei geschlossenen Fenstern wenig zu hören ist.“

Leser Klaus Schneppenhorst schrieb: „Es ist einfach nicht in Worte zu fassen. Da genießen eine Vielzahl von Anwohnern die dreiminütige allabendliche Nationalhymne der Ukraine. Einer Person, die sich bestimmt nicht outen wird, gefällt es urplötzlich nicht mehr. Und es ist dann eine Ruhestörung. Hier steht das Recht eines Einzelnen über das Wohl der Allgemeinheit. Wo leben wir, eine Kommunikation zwischen den beiden Parteien wäre lieb und fair gewesen. Aber nein, die Staatsmacht wird eingeschaltet und muss hier das Gesetz umsetzen. Ich waren immer wundervolle drei Minuten. Ich hoffe, das die Anzeige zurück gezogen wird und wir wieder in den Genuss der Nationalhymne Ukraine kommen.“

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Walter Testrut kann es nicht fassen: Seit Februar 2022 spielt er jeden Abend um Punkt 18 Uhr bei offenem Fenster die ukrainische Nationalhymne auf seinem Keyboard. „Nie hat sich jemand beschwert. Ganz im Gegenteil: Ich habe viel Zuspruch bekommen“, erzählt der 77 Jahre alte Hobbymusiker, der in einem Reihenhaus an der Jülicher Straße wohnt. Bis am Donnerstagabend plötzlich zwei Polizisten bei ihm an der Tür klingelten – und ihn aufforderten, mit dem Spielen aufzuhören. Stichwort: Ruhestörung!

Walter Testrut spielt die Klänge der ukrainischen Nationalhymne auf seinem E-Piano.
Walter Testrut spielt die Klänge der ukrainischen Nationalhymne auf seinem E-Piano. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Offenbar fühlte sich jemand aus der Nachbarschaft plötzlich von den Klängen gestört. Die Polizei bestätigte den Einsatz auf Anfrage der Redaktion. „Die Kollegen waren vor Ort und haben eine Ruhestörung festgestellt“, berichtet Pressesprecher Peter Reuters. Ergebnis: Walter Testrut wurde zur Ruhe ermahnt, wie es im Polizeijargon heißt. Allerdings geht es hier nur um den einmaligen Vorfall, sollten sich dauerhaft Menschen von der Musik gestört fühlen, gibt die Polizei die Angelegenheit an das Ordnungsamt der Stadt weiter. Im schlimmsten Fall kann es zu einer Ordnungswidrigkeitsanzeige kommen.

Nachbarschaft in Wesel: Ärger wegen Musik aus dem Fenster

Walter Testrut würde seine Aktion, mit der er ein kleines Zeichen für Frieden in der Ukraine setzen will, gerne fortsetzen – aber sich auch keinen dauerhaften Ärger mit den Behörden einhandeln. Er hatte nach Kriegsausbruch damit begonnen, die Hymne auf seinem elektronischen Piano zu spielen – mal in einer sakralen Version, mal in einer einer flotteren Variante. Er erhielt für seine musikalischen Einlagen, die rund drei Minuten andauern, auch schon Applaus von Passanten.

Wie geht es nun weiter? Im entsprechenden Gesetz heißt es dazu: „Ordnungswidrig handelt, wer ohne berechtigten Anlass oder in einem unzulässigen oder nach den Umständen vermeidbaren Ausmaß Lärm erregt, der geeignet ist, die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft erheblich zu belästigen oder die Gesundheit eines anderen zu schädigen.“ Es droht eine Geldbuße von bis zu 5000 Euro. Doch ob es sich bei der Musik, um „unzulässigen Lärm“ handelt, müsste im Zweifel ein Gericht entscheiden, denn die Regeln beim Nachbarschaftslärm sind schwammig formuliert – klare Grenzwerte in Dezibel gibt es nur für technische Geräte wie Laubbläser oder Rasenmäher.