Bochum/Schermbeck/Hünxe. Wusste der Angeklagte wirklich von nichts? Die Rechtsanwälte des Hauptbeschuldigten erwecken den Eindruck, ihr Mandant sei nahezu unschuldig.
Brachte der 16. Verhandlungstag die überraschende Wende im Schermbecker Umweltskandal? Dem Hauptbeschuldigten wird zurzeit wie berichtet der Prozess am Bochumer Landgericht gemacht. Nach NRZ-Informationen haben seine Rechtsanwälte nun vor Gericht mehrere Erklärungen abgegeben, die den Eindruck vermitteln, ihr Mandant sei nahezu unschuldig. Zur Erinnerung: Es geht um jenen Ex-Müllmakler, der nach Auffliegen des Skandals seinen Selbstmord vorgetäuscht hatte und in Namibia untergetaucht war.
Die Verteidigung stellte nun mehrere Beweisanträge und gab zugleich eine Verteidigererklärung ab, um den Fokus des Verfahrens auf (aus ihrer Sicht) wesentliche Umstände zu lenken. So müsse zwischen unterschiedlichen Stoffen unterschieden werden: Ihr Mandant habe unbedenkliche Rußpellets erhalten – bei diesen habe es sich um Abfallprodukte aus der Wasseraufbereitung gehandelt. Bei „reinen Ölpellets“ jedoch habe der Beschuldigte keinesfalls den Absteuerungsweg über das Recycling-Zentrum Bochum (RZB) zu Nottenkämper organisiert, sondern andere Wege gesucht, das hochgiftige Material loszuwerden: Zunächst (erfolglos) in der Zementindustrie, später bei zwei Firmen (eine davon in Spanien).
Dann sagten die Rechtsanwälte sehr Überraschendes: Von einer Absteuerung derartiger ölhaltiger Abfälle über das RZB an Nottenkämper (also in die ehemalige Tongrube in Schermbeck-Gahlen) habe der Angeklagte nichts gewusst. Hinsichtlich der Materialien, die an das Recycling-Zentrum geliefert worden seien, sei der Beschuldigte stets davon ausgegangen, dass es sich um problemlosen Industrieruß gehandelt habe. Der Ex-Müllmakler habe nicht gewusst und auch nicht wissen können, dass in dem an das RZB gelieferten Material Ölpellets enthalten gewesen seien.
Die Vermischung des Materials mit Ölpellets auf dem Bochumer Umschlagplatz, der auch als „Mischbude“ bezeichnet wurde, sei dem Angeklagten nicht bekannt gewesen. In den Lieferprozess sei er nicht eingebunden gewesen. Insofern werde zum Beweis die Vernehmung des Geschäftsführers der seinerzeitigen Spedition beantragt. Anhand der beim Recycling-Zentrum entstandenen Mischprodukte hätte man optisch auch gar nicht erkennen können, dass dort Ölpellets eingemischt worden seien. Zum Beweis solle dafür ein am Mischvorgang beteiligter Mitarbeiter vorgeladen werden.
Hätte der Beschuldigte gewusst, dass es sich bei den an das RZB gelieferten Mengen um Ölpellets gehandelt habe, hätte er ganz andere Preise zu seinen Gunsten vereinbart und nicht nur einen – verhältnismäßig – geringen Preis, so die Verteidigung. Zudem habe der Angeklagte in Kommunikation mit einer Nottenkämper-Mitarbeiterin stets von Rußpellets gesprochen, die an das RZB geliefert worden seien, was belegt, dass er von der Anlieferung unbedenklicher „Rußpellets“ (in Abgrenzung von bedenklichen „Ölpellets“) ausgegangen sei.
Oberstaatsanwalt unterstellt dem Beschuldigten Bösgläubigkeit
Die Verteidigung formulierte eine (rhetorische) Frage: Warum hätte ihr Mandant weiter nach Wegen für die teure Entsorgung der „reinen Ölpellets“ suchen sollen, wenn er um den (illegalen) und damit günstigeren Absteuerungsweg in die Tongrube gewusst habe? Der Oberstaatsanwalt erklärte in den Ausführungen der Verteidigung sei „einiges Falsches“. Der Angeklagte betonte vor Gericht: Hätte er der Möglichkeit gehabt, das giftige Material in Gahlen loszuwerden, hätten die Suchen nach Abnehmern der Ölpellets doch gar keinen Sinn ergeben. Diese Einlassung hielt der Staatsanwalt jedoch nicht für glaubhaft. Der Vorsitzende Richter erklärte, die Kammer müsse sich hierüber Gedanken machen.
Der Angeklagte behauptete vor Gericht zudem, von der Anlieferung der Ölpellets an das RZB erst aus dem Durchsuchungsbeschluss erfahren zu haben. Daraufhin konterte der Oberstaatsanwalt, dass sich aus verschiedenen Aktenfundstellen aus seiner Sicht eine „Bösgläubigkeit des Beschuldigten“ ergebe.
Gutachter: Die nachhaltige Verunreinigung in der Tongrube ist nachgewiesen
Am 15. Hauptverhandlungstermin ging es um ein Gutachten zum Umweltskandal: Darin heißt es, die Schadstoffbelastung der Pellets sei von verschiedenen Parametern abhängig (unter anderem von dem Vorgehen bei der Probenentnahme und der Analysemethode). Eine Mindestschadstoffbelastung mit Nickel und Vanadium sei stets gegeben: Pellets ohne Schadstoffbelastung gebe es schon wegen der im Ruß und Öl stets enthaltenen Schadstoffe nicht.
Sind konkret die in der Tongrube Nottenkämper verfüllten Pellets dazu geeignet, nachhaltig Gewässer, Luft oder Boden zu verunreinigen? Dazu erklären die Sachverständigen in dem Bericht, dass innerhalb der Tongrube eine nachhaltige Verunreinigung stattgefunden habe – dies zeigten die Ergebnisse des Gutachtens eindeutig.