Schermbeck. In der Sondersitzung des Rates äußern mehrere Redner Unverständnis für die rechtliche Situation an der Lippe. Klaus Roth nennt sie „idiotisch“.
Egon Stuhldreier ist ein Mann der klaren Worte, der auch seine Meinung in der Öffentlichkeit nicht zurückhält. So platzte dem CDU-Ratsherrn aus Gahlen in der Sondersitzung des Rates zum Thema Hochwasser am Mittwoch der Kragen, als über die rechtliche Situation des Hochwasserschutzes an der Lippe diskutiert wurde: „Eigentlich ist das ja ein Skandal: Die Fische werden hier eindeutig höher gestellt als die Menschen.“ Was den Landwirt aus Gahlen-Besten konkret auf die Palme brachte, ist das Verbot, in dem Überschwemmungsgebiet dauerhaften Hochwasserschutz zu errichten: „Die Bezirksregierung gibt Millionen aus für die Renaturierung des Mühlenbaches, damit die Fische jetzt bis zum Mühlenteich schwimmen können oder noch weiter. Aber gleichzeitig lässt man das Aap oder die Alte Fährstraße absaufen, weil da nichts gemacht werden darf.“
In die gleiche Kerbe schlug sein Ratskollege Klaus Roth, der Vorsitzende der Wählergemeinschaft Bürger für Bürger (BfB) Schermbeck, der zusätzlich sogar forderte, der Lippeverband solle sich über die Politik für besseren Hochwasserschutz in den gefährdeten Bereichen einsetzen: „Ich finde es schlimm, dass der Bürger alleine gelassen wird. Das ist doch idiotisch!“ Zuvor hatte Roth – wie auch schon nach dem Hochwasser vor 20 Jahren – von der Gemeinde Schermbeck vergeblich gefordert, zur Unterstützung der Bürger Hochwasserschutzanlagen anzuschaffen.
Mehrfach schilderte Bürgermeister Mike Rexforth daraufhin die rechtliche Situation: „Es ist ein Irrglaube, dass der Staat sich um alles kümmern muss.“ Es sei nicht die Aufgabe der Gemeinde Schermbeck Hochwasserschutz zu errichten, der die Gebäude schütze. Mit Unterstützung von Christoph Illigen, dem Betriebsmanager vom Lippeverband, erläuterte er die Problematik an dem Fluss, der kurz vor dem Jahreswechsel weit über seine Ufer trat und vor allem den nördlichen Teil von Gahlen, aber auch den Bereich an der Alten Fährstaße tagelang in Atem hielt. Zunächst einmal nannte Illigen Zahlen, die belegen, wie besonders die Situation kurz nach Weihnachten war: „2023 hatten wir das Jahr mit den meisten Niederschlägen seit 1931, der Dezember war der viertnasseste Dezember, seit wir beim Lippeverband Wetteraufzeichnungen vornehmen.“ Das jetzt diskutierte Naturereignis bezeichnete er als „25-jähriges Hochwasser.“
Der Bürgermeister spricht von einem „rechtlichen Problem“
Natürlich sei es schlimm, wenn das Wasser in die Gebäude eindringe. Aber: „Streng genommen darf die Feuerwehr gar nicht ausrücken“, betonte Rexforth, der zugleich bedauerte sagen zu müssen: „Vorsorglich was zu bauen, geht nicht!“ Dies sei ein „rechtliches Problem“. Genau diesen Knackpunkt konkretisierte CDU-Fraktionschef Rainer Gardemann: Mehrfach habe der Planungsausschuss und die Verwaltung bei der Bezirksregierung darauf gedrängt, „alle Einzelgebäude im Überschwemmungsgebiet und die Jugendfreizeitstätte Gahlen sowie den Campingplatz auszuklammern, um den Bau von Hochwasserschutzmaßnahmen zu ermöglichen.“ Dann verlas Gardemann die ernüchternde Antwort der Bezirksregierung: „Schon 1910 wurde dieses Gebiet als preußisches Überschwemmungsgebiet festgesetzt.“ Eine Ausnahme dieser Bereiche aus dem ausgewiesenen Überschwemmungsgebiet komme daher nicht infrage, habe die Bezirksregierung weiter erklärt. Mit anderen Worten: Dort Dämme oder Ähnliches zu bauen, ist nicht erlaubt.
Wie Rexforth berichtete, habe man seitens der Gemeinde nach dem außergewöhnlichen Lippe-Hochwasser bereits eine ausführliche Manöverkritik durchgeführt und die Abläufe in diesen Krisen-Tagen ausführlich beleuchtet. Grundsätzlich habe sich die Struktur eines Krisenstabes für außergewöhnliche Ereignisse bewährt.
Mike Rexforth sieht einen Fehler beim Kreis Wesel
Selbstkritisch sagte der Verwaltungschef aber auch: „Auf der Kommunikations-Ebene müssen wir besser werden.“ Dabei bezog er sich unter anderem auf die telefonische Erreichbarkeit des Lippeverbandes und offensichtlich fehlerhafte Informationen durch den Kreis, was die Entwicklung der Wasserstände anbetraf. Laut Protokoll der Gemeinde hieß es an Heiligabend 2023 fälschlicherweise von der Unteren Wasserbehörde, dass der Pegel der die Lippe sinken würde – das Gegenteil war jedoch der Fall. „Wir müssen erstmal der Info der Kreisleitstelle vertrauen“, so Rexforth, der von „einem Fehler des Kreises Wesel“ sprach.
Natürlich habe sich die Verwaltung in der Rückschau auch gefragt, wie man die Bürger noch besser hätte schützen können. „Wir hätten an den Türen klingeln können!“, nannte Rexforth eine Möglichkeit, die allerdings bei den Anwohnern vermutlich auch nicht wirklich gut abgekommen wäre, wenn man eh nichts mehr hätte ändern können.
Verständigung auf künftigen Grenzwert beim Pegel in Schermbeck
Konkret könne man auch einen Pegel-Grenzwert festlegen, deutete der Bürgermeister eine neue Messgröße an: „Wir werden uns wohl auf die Marke von 6,26 Meter verständigen“, nannte Rexforth einen konkreten Hochwasserwert, ab dem künftig ein Krisenstab einberufen werden solle.