Essen. Viele Syrer in NRW bangen und trauern um Angehörige in der Türkei und Syrien.

Als ich vor rund sieben Jahren in Deutschland ankam, war ich vor dem Krieg in Syrien geflohen. In den letzten Jahren habe ich versucht, die Kriegsbilder, Zerstörungen und die Verhaftung zu vergessen. Doch das verheerende Erdbeben in Syrien und der Türkei hat diese emotionale Erinnerung wieder erweckt. Als ob ich und viele andere vor Ort wären, und nicht in Deutschland.

Es ist Montag, der 6. Februar, kurz vor acht Uhr. Als ich mir während meines Frühstücks einen Nachrichten-Überblick verschaffen möchte, bekomme ich viele Benachrichtigungen; in zwei Sprachen - Arabisch und Deutsch: Die Erde in der Türkei und in Syrien hat gebebt.

Im Internet kursieren schnell Videos und Bilder, zeigen eingestürzte Häuser, Autos unter den Trümmern, Menschen irren umher, wissen nicht, wohin. Alles ist kaputt. Menschen suchen nach Verwandten. Es ist eisig am Tag und in der Nacht, viele haben nur ihren Schlafanzug am Leib. Es ist furchtbar.

Soziale Medien als „Suchbörse“

Sofort habe ich meinen Eltern in Damaskus per WhatsApp geschrieben: „Uns geht´s gut“, antwortet mein Vater und ergänzt: „Bei uns hat es leicht gebebt“.

Kurz danach hat sich die Medienplattform Facebook zu einer Suchbörse gewandelt, auf der viele Freundinnen und Freunde um Informationen zu ihren vermissten Angehörigen bitten. Manche haben bereits „Todesanzeige“ gepostet.

Auch auf den Internetplattformen Instagram und Twitter verbreiten sich zahlreiche Videos, Bilder, Aufrufe zu Spenden und sogar mit der Bitte um Hilfe, Angehörigen zu finden. Alles ist durcheinander. Bombardierung, Beschuss, Vertreibung, Hunger: All das haben Syrerinnen und Syrer in den letzten elf Kriegsjahren erlebt. Aber das, was ich am Bildschirm verfolge, macht mich hilflos. Diese Panik, die Angst, Not und Verzweiflung, es zerreißt einem das Herz.

Für viele Flüchtlinge aus Syrien ist Facebook die erste Nachrichtenquelle, über die sie sich über die Heimat informieren. In vielen Dörfern gibt es oft nur Festnetz-Telefone, manchmal kein Internet. Die Personen telefonisch zu erreichen, ist in einem solchen Katastrophenfall kaum möglich.

Eine Freundin und ehemalige Kollegin lebt immer noch in Nordsyrien, und zwar genau in der betroffenen Region. Sie wollte vor zwei Monaten zu ihrem Mann nach Spanien reisen, aber das hat wegen der geschlossenen Grenze zwischen Syrien und der Türkei nicht funktioniert.

Erleichterung trotz Chaos

24 Stunden lang war sie vermisst. Ob sie gestorben ist oder unter den Trümmern lag: keiner von uns wusste dies. Während des Chaos habe ich mit mehreren Helferinnen und Helfern vor Ort gesprochen. Sie versprachen, sie zu suchen, konnten aber aufgrund der Lage keine Informationen geben. Das ist verständlich, lässt einen aber hilflos zurück.

Später kam endlich ihre Nachricht: „Meiner Familie und mir geht es gut. Und wir haben es geschafft, es zu überleben“. Ich bin so erleichtert.

Noch ist das ganze Ausmaß der Katastrophe nicht absehbar, die Zahl der Toten und Verletzten steigt noch immer. Die Zerstörung und das Leid wiegen bereits schwer: sowohl bei den Angehörigen in der Türkei als auch in Syrien und in Deutschland.